Russlands Generäle ignorieren wachsende Kritik an ihrem Feldzug

■ Inguschetiens Präsident: Moskau und die tschetschenischen „Terroristen“ stecken unter einer Decke

Moskau (taz) – Zigtausende Menschen, die dem Terror der russischen Armee in Tschetschenien entfliehen wollen, sitzen weiterhin an der Grenze zur Nachbarrepublik Inguschetien fest. Trotz Zusagen der russischen Generäle, einen Korridor zu öffnen, tröpfelten auch gestern nur wenige Flüchtlinge durch den künstlichen Flaschenhals. Russlands Armeeführung scheint entschlossen, die Mission im Kaukasus in ihrem Sinne zu Ende zu führen. Verteidigungsminister Igor Sergejew kündigte an, man werde ganz Tschetschenien besetzen.

Damit ignoriert Moskau die wachsende internationale Kritik an dem Feldzug, den der Kreml unter der fadenscheinigen Vorgabe führt, islamistischen Extremisten und Terroristen in Tschetschenien den Garaus zu machen. Am Rande der Nahost-Gespräche in Oslo hat auch US-Präsident Clinton den russischen Premier Putin vor einer Eskalation gewarnt.

Zweitausend Zivilisten sind nach tschetschenischen Schätzungen der Antiterrorkampagne bereits zum Opfer gefallen. 180.000 Menschen sind nach Inguschetien geflüchtet. Inguschetiens Präsident Ruslan Auschew nannte die Vorgänge an der Grenze eine „Verhöhnung von Hilfe Suchenden“. Die Terrorbekämpfung sei nur ein Vorwand für Moskauer Machtspiele und Intrigen. „Warum hat man die Terroristen, über deren Ziele man seit Jahren Bescheid wusste, nach Dagestan reingelassen? Und unbehelligt wieder rausgelassen?“ Unangenehme Fragen, die den Kreml bald in Bedrängnis bringen könnten. Klaus-Helge Donath

Reportage aus Inguschetien: Tagesthema Seite 3