Anfang des Exzesses

■ Aus der Kiste: Die Galerie der Gegenwart zeigt das Frühwerk von Hanne Darboven

Die Hamburger Kunsthalle scheint eine Vorliebe dafür zu entwickeln, den Inhalt von versteckten Kisten auszupacken und unbekannte Werkteile berühmter Künstler zu zeigen. Nach der erstmalig präsentierten Auswahl aus Andy Warhols überbordender Fotosammlung ist es in der Galerie der Gegenwart nun die Dokumentation des Frühwerks von Hanne Darboven. Aber kann es denn Zufall sein, dass bei einer so systematischen Künstlerin, bei einer so exzessiven Sammlerin urplötzlich eine Kiste mit dem bisher unbeachteten Frühwerk auftaucht? Jedenfalls sind die von der Mutter aufbewahrten Übungen aus der Kunsthochschule jetzt da, und die Hamburger konzeptuelle Schreibkünstlerin ist hinreichend berühmt, dass das Zeug auch gezeigt wird.

Schul- und frühe Seminararbeiten von Künstlern, die für eine späteres, ganz andersartiges Werk berühmt sind, beweisen allerdings wenig mehr, als dass kein Star vom Himmel gefallen ist, ein jeder seinen Weg erst finden muss und dass es eigentlich nie schaden kann, einen ausgebleichten Schafsschädel abzuzeichnen. Immerhin kann durch die nun sichtbare Vorgeschichte die Selbststilisierung in der Biografie der Hanne Darboven in einem Punkt korrigiert werden: Ihr Neubeginn in New York 1966 war nicht so voraussetzungslos, wie bisher immer behauptet. Denn etwa ein Jahr vor ihrer Abreise kam der an der berühmten Ulmer Hochschule für Gestaltung ausgebildete Brasilianer Almir Mavignier an die Hamburger Hochschule und damit erstmals ein bedeutender Konstruktivist, der mindestens seit 1961 von einem systematischen Konzept als Werkidee ausging.

Neben der Gruppe Zero waren es Mavigniers Punktrasterbilder und die durch ihn vermittelte mathematisierte Informationsästhetik des Max Bense, die Hanne Darboven beeinflussten, zu eigenen Rasterbildern mit Schrauben auf Lochplatte führten und ihr das Rüstzeug gaben, wenig später so leicht Kontakt zu den New Yorker Konstruktivisten wie Sol LeWitt zu finden. Auch war es ganz besonders Almir Mavignier, der zur Reise nach New York geraten hat. Dort angekommen, entwickelte Hanne Darboven bald an dem hier ebenfalls reliquienhaft gezeigten Schreibtisch erst noch streng berechnete Perforationen und formale Zeichnungsreihen, dann – für sie bahnbrechend – die komplexe Zahlensystematik, mit der sie ihre konstruktiv serielle Kunst um die Zeitdimension erweiterte.

Und alles weitere ist letztlich bis heute nichts anderes als eine konsequent durchgehaltene, unendlich aufwendige Permutation dieses damals angelegten Konzepts, von dem hier in diesem Herbst gleich mehrfach Werkvarianten zu sehen sind: in der wiedereröffneten Galerie „Ascan Crone – Andreas Osarek“ in der Admiralitätstraße und ab 19. November mit den 270 Schreibarbeiten der „Hommage à Picasso“ in den Deichtorhallen.

Hajo Schiff

„Hanne Darboven. Das Frühwerk“, Galerie der Gegenwart, bis 13. Februar 2000, Katalog 34 Mark