Angstkatastrophen im Kopf

■ Neue Therapie zur Angstbewältigung in Bremen soll Menschen helfen, die sonst ihr soziales Umfeld verlieren. Beispiel: Eine Frau, die 15 Jahre zu Hause blieb – aus Angst

Angst ist eigentlich nichts Beängstigendes. Sondern ein normales Gefühl, das dazu dient, in bedrohlichen Situationen Gefahren zu vermeiden. Was aber, wenn die Angst selbst zur Bedrohung wird? Wenn der Körper mit Zittern, Schwitzen oder Herzrasen reagiert, wo es eigentlich nichts zu fürchten gibt? Im Kaufhaus, auf freien Plätzen oder in der Straßenbahn?

Angststörungen gehören zu den häufigsten seelischen Störungen. Rund zehn Prozent der Bevölkerung sind irgendwann im Laufe ihres Lebens davon betroffen. Bei vielen von ihnen geht die Angst so weit, dass sie nicht mehr in der Lage sind, alleine die Wohnung zu verlassen. Sie sind dem normalen Alltagsleben nicht mehr gewachsen, verlieren Arbeit und soziale Kontakte. An diese Menschen richtet sich seit Juni ein in Bremen einmaliges Therapieangebot. In der Klinik Dr. Heines in Oberneuland können Angststörungen erstmals stationär behandelt werden.

„Es ist eine Störung, die sehr versteckt existiert. Im Durchschnitt dauert es sieben Jahre, bis ein Patient einer spezifischen Therapie zugewiesen wird“, sagt der ärztliche Direktor der Klinik, Dr. Klaus Brücher. Oft liege eine Odyssee durch die unterschiedlichsten Arztpraxen hinter ihm. Denn zumeist werde nach physischen Ursachen gesucht und der psychische Hintergrund nicht erkannt.

Viele Menschen leben jahrelang mit der Krankheit und schaffen es, sich irgendwie damit zu arrangieren. Sie vermeiden die Angst auslösenden Situationen und schränken damit ihre Bewegungsfreiheit immer weiter ein. Der Umgebung fällt das häufig gar nicht auf. „Da entstehen hochkomplexe Gebilde, nur um zu vermeiden, daß die Angstsituation entsteht“, weiß Brücher. So sei eine Patientin 15 Jahre lang nicht aus dem Haus gegangen, mit der Begründung, ihrem Mann mache eben das Einkaufen mehr Spaß.

In der Therapie sollen die Patienten lernen, den Teufelskreis der Angst zu durchbrechen. „Die Patienten konstruieren sich im Kopf Gedankenkatastrophen, die zu noch stärkerer Angst führen. Sie flüchten dann aus der Situation oder vermeiden sie. Wir fördern das Zuende-Denken der unrealistischen bedrohlichen Gedanken“, so der Stationsarzt Ulrich Baumgärtner. Nach einer Vorbereitungsphase, in der Bewältigungsstrategien trainiert werden, gehen die Patienten begleitet von Therapeuten nach draußen und üben. Sie werden mit den Situationen konfrontiert, vor denen sie vorher weggelaufen sind. Verhaltenstherapie mit Exposition nennt sich das Verfahren. Denn „wir wollen die Patienten nicht unter einer Käseglocke halten und vor der Außenwelt schützen“, sagt Baumgärtner, „sondern es ist wichtig, dass sie reguläre Alltagssituationen testen.“ Deshalb sind während der Therapie auch Aufenthalte zu Hause eingeplant.

26 Plätze bietet die neue Station. Die meisten Patienten bleiben acht Wochen lang in der Klinik. Die Erfolgschancen seien gut, sagt Brücher. Die Erfahrung zeige, dass rund 80 Prozent der Patienten nach einer solchen Therapie wieder in der Lage sind, ihren Alltag zu meistern. Er weiß aber auch, dass es keine wirkliche Heilung gibt.„Erfolg heißt nicht, dass die Patienten keine Angst mehr haben, sondern dass sie lernen, damit anders umzugehen.“ Kristin Hunfeld