Wenn sich Zonis Juden nennen    ■ Von Wiglaf Droste

Die Deutschen sind wirklich etwas Besonderes: Sie sind das einzige Volk, das davon träumt, normal zu sein. Warum nur? Was soll das sein, normal? Und was wäre so großartig daran, es zu sein?

Angehörige anderer Nationen bestehen darauf, etwas Besonderes zu sein, etwas Unterscheidbares, das sich heraushebt aus dem Milliardenmenschenmassenmatsch. Nur die Deutschen wollen zwanghaft normal sein, und dabei schlagen sie die seltsamsten Kapriolen. Wenn das Normale nicht deutsch ist, sagen sie, muss eben alles Deutsche normal werden.

Normal wird per Dekret vor allem, was besonders unangenehm ist. Totgeschlagene oder verbrannte Ausländer? – „Die gibt es woanders auch!“, rufen die Normaldeutschen auftrumpfend. „Das ist normal!“ Jede entsprechende Nachricht aus dem Ausland befriedigt sie. Sie sind froh, dass es Haider, Le Pen und ihre Leute gibt – das relativiert den hausgemachten Dreck so schön. Wenn aber in Deutschland „etwas passiert“, wie die Normaldeutschen es nennen, wenn Fremde so hinterhältig sind, sich von Deutschen umbringen zu lassen, sind die Normaldeutschen empört: „Warum ausgerechnet wir? Jetzt zeigen wieder alle mit dem Finger auf uns.“

Seit ihrer Wiedervereinigung ist das Bedürfnis der Normaldeutschen nach Normalität wahnhaft übersteigert. Die Bundesdeutschen, im Schnitt keine besonders erfreulichen Leute, bekamen einen Wurmfortsatz, den die paar Vernünftigeren unter ihnen nicht geschenkt haben wollten. Das nekrophile Schauspiel aber fand statt und zieht sich seitdem weiter hin, was den Geruch der Angelegenheit nicht verbessert. Der Appendix DDR wurde von der großen Mehrheit kurzzeitig bejubelt und dann, als er sich als nur bedingt kompatibel erwies, gehasst. Denn da waren da ja auch noch diese Menschen. 16 Millionen Ostdeutsche, und nicht wenige von ihnen stellten sich als echte Zonis heraus: hoffnungslos retrospektiv, aggressiv provinziell, feindselig, feige und immer bereit, wegen nichts beleidigt zu sein.

Die Lieblingsdisziplin der Normaldeutschen, das Mitleid ausschließlich mit sich selbst, beherrschen diese Zonis sogar noch besser. Ihre Bereitschaft, sich als verfolgende Unschuld einen Namen zu machen, ist enorm. Als der jüdische Historiker Fritz Senn davon sprach, dass es in Deutschland nie wieder Menschen zweiter Klasse geben dürfe, glaubten die Zonis ganz fest, damit seien sie gemeint. Überhaupt sind sie sehr gut darin, die Verfolgten zu simulieren. Verspottet man sie ein bisschen wegen ihrer Schrebergärtnerhaftigkeit, verwechseln sie den Spott mit Hass oder projizieren ihren ebenso einleuchtenden wie unappetitlichen Selbsthass auf Leute, deren Vergehen darin besteht, mit ihnen nicht viel zu tun haben zu wollen.

Wie die anderen Normaldeutschen können Zonis nicht begreifen, dass nicht alle Deutschen automatisch in Affenliebe verfallen, wenn sie andere Deutsche sehen. Diese Distanz, die sie selbst nicht haben, quält die Zonis; spüren sie Zurückhaltung, behaupten sie heulend und drohend zugleich, sie seien „die Juden“ und müssten schon bald „mit einem roten O an der Jacke“ herumlaufen. Denn wenn in Deutschland einer ein Opfer ist, dann allemal ein Deutscher. Oder die Steigerung eines Deutschen: ein Zoni.