Brüssel zeigt Moskau Gelbe Karte

■  Als Reaktion auf den Krieg in Tschetschenien blockiert das EU-Parlament den Abschluss eines Wissenschaftsabkommens mit Russland. Grenzen werden für Flüchtlinge geöffnet

Brüssel/Straßburg/Kawkas (AFP/dpa/taz) – Offensichtlich hat sich der Westen jetzt doch dafür entscheiden, angesichts des Krieges in Tschetschenien nicht einfach zur Tagesordnung überzugehen. Mit deutlicher Mehrheit votierte das Europäische Parlament gestern dafür, die Abstimmung über den Abschluss des Abkommens zur wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und Russland zu verschieben. Damit ist das Verfahren zunächst einmal auf unbestimmte Zeit ausgesetzt. „Täglich werden in Tschetschenien schwerste Verstöße gegen die Menschenrechte begangen. Da kann man nicht einfach Business as usual machen“, sagte Elisabeth Schroedter, Europaabgeordnete der Grünen. „Wir haben zwar nur bescheidene Möglichleiten, aber die haben wir zumindest genutzt.“

Demgegenüber scheiterte der Europarat gestern bei einem Versuch, im Tschetschenien-Konflikt zu vermitteln. Bei einer Dringlichkeitsdebatte mit Parlamentariern aus Russland, Tschetschenien und anderen Europaratsländern kam es in Straßburg zu keinem direkten Gespräch zwischen den Konfliktparteien.

„Wir sind grundsätzlich zu Gesprächen über eine friedliche Regelung des Konflikts bereit, finden jedoch keine vertrauenswürdigen Gesprächspartner“, sagte der stellvertretende russische Außenminister Alexander Awdejew bei dieser Debatte des Präsidiums der parlamentarischen Versammlung. Der Präsident der abtrünnigen Kaukasusrepublik, Aslan Maskhadow, stehe den Terroristen zu nahe und sei deshalb als Gesprächspartner nicht akzeptabel, sagte er.

Die beiden tschetschenischen Parlamentarier Akhiad Idigow und Abubakar Magomadow, die zu der Sitzung nach Straßburg gekommen waren, bezeichnete Awdejew als „Terroristen und Banditen“.

In einer Entschließung des Europarates wurde Russland lediglich aufgefordert, „militärische Angriffe gegen die Zivilbevölkerung in Tschetschenien zu vermeiden“ und einer Feuerpause zuzustimmen.

Russen fliegen 120 Angriffe an einem Tag

Unterdessen haben russische Truppen nach tagelanger Blockade erstmals wieder für eine größere Anzahl von Flüchtlingen die Grenze nach Inguschetien geöffnet. Ein hochrangiger Grenzbeamter sagte in Kawkas, künftig sollten pro Stunde 20 Busse passieren dürfen. Rund 700 Menschen flohen gestern in Bussen über den Grenzübergang bei Kawkas, am Mittwochabend waren es bereits rund 1.000 gewesen. Entlang der Straßen zum Grenzübergang harren seit Tagen Tausende hungernd und frierend aus. UN-Fahrzeuge überquerten den Grenzposten in die andere Richtung, um die Menschen mit Medizin und Lebensmitteln zu versorgen, wie Missionsleiter Nikolas Kossidis sagte.

Erst seit Montag hatten die russischen Soldaten wieder einige Flüchtlinge durchgelassen. Am Mittwoch hatte das UN-Flüchtlingskommissariat (UNHCR) Moskau zur Öffnung der Grenze aufgefordert und die Situation der Flüchtlinge mit der während des Kosovo-Krieges verglichen. Der russische Premier Wladimir Putin entsandte Notstandsminister Sergej Schoigu in die Grenzregionen von Nordossetien und Inguschetien, um sich über die humanitäre Situation zu informieren.

Die russische Armee setzte auch gestern ihre Angriffe fort. Kampfflieger bombardierten nach tschetschenischen Angaben ein Dorf und eine Straße im Nordwesten der abtrünnigen Kaukasusrepublik. Nach Moskauer Agenturberichten flog die Luftwaffe 120 Bombeneinsätze binnen 24 Stunden. Dabei seien 150 tschetschenische Kämpfer getötet und zehn Rebellenstützpunkte zerstört worden. bo