Wehrmachtsschau wird generalüberholt

■  Nach der Kritik an falschen Bildlegenden wird die Wehrmachtsausstellung zurückgezogen und drei Monate überprüft. Ausstellungsmacher üben Selbstkritik, nicht früher eine Denkpause eingelegt zu haben

Hamburg (taz) – Die Wehrmachtsausstellung wird vorübergehend aus dem Verkehr gezogen und grundlegend überprüft. Das gaben das Kuratorium der Ausstellung und das Hamburger Institut für Sozialforschung gestern bekannt. Auch die Auslandsversion der Bilderschau „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 – 1944“ wird nicht wie geplant in den USA gezeigt, wo sie am 2. Dezember in New York eröffnet werden sollte. Anlass für die Entscheidung war der Streit um falsche Bildlegenden, die der polnische Historiker Bogdan Musial vor kurzem neu entfacht hat.

Während der selbst verordneten Denkpause werden die Mitarbeiter des Instituts alle Fotos der Ausstellung und die dazugehörigen Legenden überprüfen und anschließend einem neu gebildeten wissenschaftlichen Beirat vorlegen. Das erklärte der Leiter des Hamburger Instituts, Jan Philipp Reemtsma. Reemtsma begründete die Auszeit mit der Sorge, dass die Auseinandersetzungen um eine Reihe von Fotos bzw. Bildlegenden die eigentliche Botschaft der Ausstellung zu überwuchern drohten: die These, dass die Wehrmacht institutionell in den Vernichtungskrieg eingebunden und in eine große Zahl von Kriegsverbrechen auch unmittelbar verwickelt gewesen war. Während es in der Forschung kaum noch Dissens über diese Frage gebe, könnte es wegen der Polemik in der Öffentlichkeit sehr wohl zu einem Roll-back kommen.

Reemtsma wie auch der Ausstellungsmacher Hannes Heer übten sich in Selbstkritik, weil sie die Hinweise von Kollegen teils übergangen, teils unvollständig berücksichtigt hätten. Dreierlei gelte es dabei zu berücksichtigen: Als die Ausstellung erarbeitet wurde, hielt man sich im Wesentlichen an die Zuschreibungen, die sich in Archiven finden; deren Unzuverlässigkeit wurde erst später klar. Zum zweiten hat die Forschung seit dem Beginn der Ausstellung 1995 einen großen Sprung nach vorn gemacht, den es einzuholen galt. Drittens aber war die Hamburger Mannschaft wegen der starken Polarisierung in der Öffentlichkeit einer Art Lagerdenken verfallen, weshalb sie nicht klar genug zwischen wissenschaftlich berechtigter Kritik und politisch motivierten Angriffen unterschieden hat.

Aufgeworfen wurde gestern auch die Frage, ob Fotos überhaupt einen komplexen historischen Zusammenhang darstellen können. Die Ausstellungsmacher erinnerten daran, dass die Fotos ursprünglich einen die Texte stützenden Charakter haben sollten. Die anschließenden heftigen Auseinandersetzungen verschoben dann den Akzent auf die kriminalistische, die Beweisseite. Jedes Foto musste nun für sich selbst einstehen. Für diese Funktion waren die urspünglichen Beschriftungen der Fotos zum Teil nicht geeignet.

Aus heutiger Sicht, meinte Ausstellungsmacher Hannes Heer, wäre es sicher besser gewesen, nach der ersten Welle der Auseinandersetzungen 1997 eine Auszeit zu nehmen. Aber die Möglichkeit, zigtausende von Menschen in aufklärerischer Absicht zu erreichen, war eben attraktiver als eine Generalrevision. Nach wie vor, betonte Heer, führe nichts an der peniblen Einzelprüfung jedes erhobenen Vorwurfs vorbei. Deshalb sei es auch falsch, jedem Vorwurf nachzugeben und sich in Selbstbezichtigungen zu üben.

Zur Illustration führte Hannes Heer den jetzigen Wissensstand bei der Interpretation von Fotos vor, die in der ostgalizischen Stadt Tarnopol sowohl exekutierte Opfer des sowjetischen Geheimdiensts NKWD als auch ermordete Juden zeigen. Dabei wurde klar, dass Eindeutigkeit bei der Datierung und Zuschreibung immer noch nicht zu erreichen ist.

Als Kuratoriumschef der Ausstellung lobte Hans-Jochen Vogel (SPD) den zwar späten, dafür aber rückhaltlosen Geist selbstkritischer Überprüfung. Für ihn war es wichtig, dass die Ausstellung Menschen zum Reden und zum Nachdenken gebracht hat, die sich sonst nie mehr ihrer Rolle im Zweiten Weltkrieg erinnert hätten. Christian Semler

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