Im Museum auf der Flucht

In der Ausstellung „Unerwünscht – Eine Reise wie keine andere“ erleben die BesucherInnen selbst das Schicksal eines Flüchtlings  ■ Von Elke Spanner

Niemand kann erahnen, wie die ZuschauerInnen reagieren werden. Die SchülerInnen etwa, die von ihren LehrerInnen vorbereitet zusammen mit der ganzen Klasse kommen. Oder einzelne Erwachsene, die sich in der Ausstellung nur den Sonntag vertreiben wollen und plötzlich hinter sich die Zellentür zuschlagen hören.

Für die SchauspielerInnen steht deshalb Spontaneität auf dem Probenplan. Ein Teil mimt eine Besuchergruppe. Eine Schauspielerin versucht, sie auf die Stunde einzustimmen, die sie gleich erleben werden. „Es ist ein Spiel“, beschwichtigt sie vorweg, und dann: „Aber es kann sein, dass Ihr ganz schön Ärger kriegen werdet.“ Was sie tun müssten, will einer noch wissen. „Fliehen.“

Am Sonntag wird die Ausstellung „Unerwünscht – Eine Reise wie keine andere“ im „Museum der Arbeit“ eröffnet. Entwickelt wurde sie 1996 von der MigrantInnenorganisation „Cire“ in Brüssel, gezeigt außer in Brüssel bereits in Paris, Rom und Frankfurt. Sechsstellige Besucherzahlen hat die Ausstellung bereits zu verzeichnen. Für Hamburg liegen bereits rund 2000 Anmeldungen vor – darunter die von 60 Schulklassen. Der „Hamburger Arbeitskreis Asyl“ (AK Asyl) hat die Ausstellung zusammen mit dem „Museum der Arbeit“ in die Hansestadt geholt. Schirmherr europaweit ist der UNHCR.

Auf die Reise gehen die BesucherInnen nicht in ihrer eigenen Identität, sondern als Leila aus Algerien, Aubin aus Ruanda oder Kana aus Sri Lanka. Zehn Identitäten stehen zur Auswahl. Die Rollen zeichnen keine authentischen Schicksale nach, sind aber typisiert und vom UNHCR auf ihre Reali-tätsnähe hin geprüft, erläutert Jens Schneider vom „AK Asyl“. Rund Zweidrittel der Rollen sind Frauen, „weil das den weltweiten Flüchtlingszahlen entspricht“. Die 30jährige Leila ist Ärztin in der algerischen Stadt Blida. Nachdem sie Frauen über Empfängnisverhütung beraten hat, wird sie von fundamentalistischen Islamisten bedroht. Als eines Tages in ihrem Haus eine Bombe explodiert, verlässt sie das Land. Der 32jährige Aubin steht zwischen den Fronten der Tutsi und Hutu in Ruanda. Als der Bürgerkrieg eskaliert, macht er sich Richtung Burundi auf.

Haben die ZuschauerInnen sich für eine Identität entschieden und in der ersten Station der Ausstellung endlich ihren Pass erkämpft, werden sie mit diesem auf den Fluchtweg geschickt. Außerdem wird ihnen ihrer Rolle entsprechend ein bunter Aufkleber auf die Stirn geklebt. Zum einen, um sie zu stigmatisieren, sagt Anne-Gaelle Rocher vom „Museum der Arbeit“: „An ihrem Gesicht sollen Hautfarbe und Herkunft abzulesen sein“. Zum anderen, damit die Schauspieler sie identifizieren und ihnen als Grenzer, Polizisten, Fluchthelfer oder Beamte der Ausländerbehörde entgegentreten und sie in Rollenspiele verwickeln können.

Herkunftsland, Fluchtgründe - und Wege sind durch aufwendige Kulissen dargestellt: Eine Gefängniszelle, Trümmerlandschaften, Slums. Die Flucht führt je nach Rolle über ein Minenfeld, durch einen reißenden Fluß oder zu einem PKW, in dessen Kofferraum versteckt man die Grenze überqueren muss. Hinweistafeln leiten die Flüchtlinge durch zerbombte Städte, notdürftige Verstecke, Auffanglager oder den deutschen Behördendschungel. Wer einen Fluchthelfer findet, kann womöglich direkt im Herkunftsland ins Flugzeug steigen. Andere landen zunächst in Flüchtlingslagern, wo sie darauf warten müssen, dass ihnen jemand die Weiterreise ermöglicht.

„Warten“, sagt dazu Schneider, „spielt eine große Rolle“. Vor allem, wenn die Flüchtlinge endlich Deutschland erreicht haben. Wer nach Wochen der Illegalität oder dem Ausharren in einem Flüchtlingslager in die BRD gelangt, wird sich in Sicherheit wähnen – bis er mit der hiesigen Bürokratie konfrontiert wird.

In der Ausstellung „Unerwünscht“ stellen alle Flüchtlinge einen Asylantrag. Und alle, die zwischen den Kulissen eine Flucht erlebt haben, werden überzeugt sein, mit ihrem Schicksal anerkannt zu werden. Doch die meisten werden abgelehnt – aus formalen Gründen, was laut Schneider „die Brutalität des hiesigen Asylverfahrens ausmacht“: Wochen haben die Flüchtlinge in einem Zeltlager in Burundi notdürftig gelebt. Hier werden sie abgelehnt, weil sie nicht schon dort ein Visum beantragt haben. Oder sie haben Frankreich und damit einen Drittstaat durchquert. Ihre Erlebnisse im Herkunftsland, sagt Schneider, „sind nur eine Marginalie“.

Das zu vermitteln, ist die Stärke der Ausstellung. Denn der Versuch, Öffentlichkeit für die hiesige Flüchtlingspolitik herzustellen, scheitert oft daran, „dass die Leute sich nicht vorstellen können, was da passiert“. Die Ausstellung setzt nicht auf Wissen, sondern auf Erleben. „Das Gefühl der Beklemmung gehört dazu“, sagt Rocher vom „Museum der Arbeit“.

Rund 20 SchauspielerInnen haben zwei Wochen lang die Rollen als Verfolger, Grenz- oder Ausländeramtsbeamte geprobt. „Wir versuchen etwa, Körperkontakt zu vermeiden und die Leute trotzdem körperlich eine Bedrohung spüren zu lassen“, erklärt eine Schauspielerin. Als Deutsche, sagt sie, „bist Du es nicht gewohnt, dass man so mit Dir umgeht“. Regisseur Branko Simic betont jedoch, dass die SchauspielerInen den BesucherInnen keine Angst einjagen wollen. Und für den Fall, dass jemandem mulmig wird, so eine Schauspielerin, gäbe es auch positive Rollen: „Die Fluchthelfer“.

Wer die Ausstellung verlässt, erfährt auf einer Tafel das weitere Schicksal der Person, deren Rolle er oder sie soeben eingenommen hatte. Nur einer der Flüchtlinge kann legal in Deutschland leben. Die anderen müssen untertauchen – oder landen wieder am Ausgangspunkt der Ausstellung: Per Abschiebung im Herkunftsland. Maurienstr. 18, vom 8.11.-19.12, Mo-Fr. 9-16 Uhr, Sa, So 12-18 Uhr