Boris Becker gegen Gregor Gysi

■ Auf der Suche nach dem 4. November: Rund um den Alex erinnerte man sich an die Großdemo vor zehn Jahren mit gemischten Gefühlen

Die beste Staatssicherheit“, tönt es aus den Lautsprechern, „ist noch immer die Rechtssicherheit.“ Verdutzt schaut sich der Zuhörer um, seinen Aktenkoffer fest im Griff. Diese Stimme kennt er doch. Dann blickt er, wie die meisten neben ihm, hinauf auf das Dach des ehemaligen Hauses der Elektroindustrie. Auf der Videoleinwand ist Gregor Gysi zu sehen, aus den Lautsprechern braust Applaus. Die Übertragung der Demo vom 4. November 1989 stiftet zehn Jahre später auf dem Alexanderplatz Verwirrung, nicht nur bei dem erstaunten Zuhörer mit Aktenkoffer.

Eine Mitarbeiterin der PDS im Abgeordnetenhaus sucht nach ihrem Sohn. „Damals“, sagt sie, „war er drei“. Heute ist er also dreizehn und soll ein wenig mitbekommen von der Stimmung, die damals über dem Alexanderplatz lag, vom Aufbruch und dem Selbstbewusstsein der Bürger in jenem Land, das sich um die Bürgerrechte so wenig scherte. Auch eine ehemalige PDS-Stadträtin aus Pankow ist zu sehen. Die anderen Bürgerrechtler, die von damals, fehlen.

Sie fehlten auch schon am Nachmittag, in der Kongresshalle am Alexanderplatz. Der Schriftsteller Christoph Hein, der ehemalige Hochschulrektor Lothar Bisky und die Schauspielerin Johanna Schall waren zusammengekommen, um über die Aktualität des 4.  November zu reden. Johanna Schall muss passen. Etwas ähnliches kann sie heute nicht ausmachen. Christoph Hein sieht es ebenso, vermisst den Bürger als „Stachel im Fleisch“. Wütenden Beifall bekommt Christoph Hein als er daran erinnert, dass es das Westfernsehen noch nicht einmal für nötig befunden hatte, die Demo auf dem Alex zu übertragen. „Die ARD-Intendanten“, so Hein, „entschieden sich für eine Live-Übertragung von Boris Becker.“

Und Lothar Bisky? Immerhin hatte er Feingefühl genug, die PDS in keinen Zusammenhang zum 4.  November zu stellen. Doch der „Gegenakzent“, den der Bezirk Mitte mit seinen Veranstaltungen zum 4. November gegen die Feierlichkeiten zur Maueröffnung setzen wollte, blieb seltsam blass. Die Großdemonstration am Alexanderplatz ist, anders als die Maueröffnung, nicht mehr gegenwärtig, zumindest nicht im Sinne des Wortes.

Draußen, auf dem Alexanderplatz dröhnt die Stimme von Steffi Spyra. Dass der Platz längst im Dunkeln liegt, kommt einigen ganz recht. So bekommt wenigstens keiner die Ergriffenheit mit, die die Spyras Aufforderung „Abtreten“ noch immer in ihnen auslöst. Andere steigen aus der Straßenbahn oder kommen aus dem Kaufhof. Auf den Werbewürfeln neben der Videoleinwand fordert die Firma „New Media Board“, eine der Sponsoren des Demonstrationsgedenkens, auf, Werbeflächen zu mieten. Am „Haus des Lehrers“ hängt noch immer das riesige Transparent: „Wir waren das Volk.“ Dieser Slogan hatte noch nicht einmal die CDU im Bezirk in Rage versetzt. Uwe Rada