Bummelstreik am Alex

■  Seit Mittwoch dürfen die Straßenbahnen nur noch 5 km/h fahren. Schuld ist Verkehrssenator Jürgen Klemann, der mit fast einem Jahr Verspätung die Fußgängerzonen-Schilder aufstellen ließ

Die Straßenbahn am Alex ist nicht nur die teuerste der Stadt – ihre Herstellung hat 68,5 Millionen Mark gekostet –, sondern auch die langsamste. Waren die im Dezember vergangenen Jahres eröffneten Linien 2, 3, 4, 5 und 6 mit ihren 10 km/h schon schneckentemporekordverdächtig, laufen ihnen jetzt selbst fußlahme Fahrgäste davon. Denn seit Mittwoch dürfen die Straßenbahnen nur noch mit der Hälfte der Geschwindigkeit über den Platz zuckeln.

Schuld an dieser Misere ist ausnahmsweise nicht die BVG. Die ist sogar stinksauer. Was sich derzeit am Alex abspielt, ist nach den Beschreibungen ihres Pressesprechers Klaus Wazlak der Horror schlechthin für einen Verkehrsbetrieb: „Die Straßenbahnen werden teilweise von schnellen Fußgängern überholt“, schimpft er. Und: „Die Fahrer werden reihenweise angemacht, ob sie im Bummelstreik seien.“

Die Erfinder der Langsamkeit im Ostberliner Zentrum sind der Polizeipräsident und die Verkehrsverwaltung. Verkehrssenator Jürgen Klemann (CDU) hat zehn Monate nach der offiziellen Einweihung und wenige Tage vor dem 9. November den Alex, der immer Fußgängerbereich war, offiziell zur Zone erklärt. Zur Fußgängerzone genauer gesagt. Damit wurde das, was der Polizeipräsident, sprich die Straßenverkehrsbehörde, schon vor einem Jahr angeordnet hat, mit der Klemannschen Langsamkeit amtlich: Der Alex ist eine Fußgängerzone, und das heißt Schrittgeschwindigkeit für die Straßenbahn. Nach Angaben des Leiters der Straßenverkehrsbehörde, Wolfgang Friese, hat eine „Erinnerungsbegehung“ am Mittwoch dazu geführt, dass die säumige Verwaltung die überfälligen Schilder aufgestellt hat. Weil es keine eindeutige Definition des Schritttempos gibt, hält es Friese mit den Preußen: „Das ist die preußische Marschgeschwindigkeit mit 25 kg von 4 bis 5 km/h.“

Leidtragende ist die viel gescholtene BVG, die in diesem Fall aber keine Schuld trifft. „Ich kann doch nicht etwas erklären, ohne die entsprechenden Schilder aufzustellen“, sagt Wazlak. Um den Alexanderplatz wieder mit flotterem Bahnquietschen zu beleben, hat sich die BVG gestern schriftlich an den Polizeipräsidenten und den Verkehrssenator gewandt. „Wir wollen die alte Lösung mit 10 km/h“; so Wazlak. Je langsamer die Tram, umso gefährlicher sei sie für Fußgänger. „Bei 10 km/h wird sie als Hindernis wahrgenommen“, so Wazlak. Nach „ersten positiven Signalen“ aus dem Polizeipräsidium ist er optimistisch, dass doch noch eine einvernehmliche Lösung gefunden wird.

Dass in anderen Städten Straßenbahnen bis zu 30 km/h fahren, ficht die Straßenverkehrsbehörde nicht an. Dort gebe es im Vergleich zum Alex Gitter oder Borde, um auf den „feindlichen Verkehrsstrom“ hinzuweisen, erklärt Wolfgang Friese. Doch beim Alex gebe es nur eine ebenerdige „Gleisbetteinbindung“.

Den Berliner Fahrgastverband IGEB erinnert diese Schilda-Geschichte an Kaisers Zeiten: „Die Pferdebahn zu Kaisers Zeiten war schneller“, schimpft die Interessengemeinschaft. Zudem würde eine Beibehaltung von 5 km/h eine Veränderung des Fahrplanes und einen Mehreinatz von Fahrzeugen und Personal bedeuten. B. Bollwahn de Paez Casanova