Strieder macht den Weihnachtsmann

■  Für die Koalitionsverhandlungen mit der CDU will der SPD-Chef bei „gesellschaftlichen Gruppen“ Wunschzettel einsammeln – damit die zwölf Unterhändler auch wissen, was sie morgen fordern sollen

So schnell haben die Genossen noch nie einen Beschluss umgesetzt: Gerade erst war der SPD-Parteitag zu der Einsicht gekommen, dass der Wiederaufstieg zur Volkspartei nur über die „vielfältigen gesellschaftlichen Zielgruppen und Organisationen“ führen könne – da kündigt Parteichef Peter Strieder schon Gespräche mit Gewerkschaften und Arbeitgebern, Kulturschaffenden und Wissenschaftlern an. Deren Wünsche sollen Eingang in die vorweihnachtlichen Koalitionsverhandlungen finden. Die Gespräche mit der CDU will Strieder „professionell“ führen, ein nächtliches Sitzungsmarathon soll es nicht mehr geben. Weniger professionell hatte der Parteichef die Vorgespräche mit den „gesellschaftlichen Gruppen“ eingefädelt. Die meisten Funktionäre erfuhren erst von der Presse, dass die SPD mit ihnen reden will.

Strieder, der eine Fortsetzung des Sparkurses gestern als „wesentlichen Eckpfeiler von Zukunftspolitik“ bezeichnete, dürfte auch mit den Wunschlisten der Institutionen und Verbände nicht sehr glücklich werden. Die Begehrlichkeiten lassen sich auf einen simplen Nenner bringen: Alle wollen mehr Geld.

Für den Kulturbereich verweist Philharmoniker-Intendant Elmar Weingarten darauf, dass der scheidende Kultursenator Peter Radunski ein Finanzloch von mindestens 50 Millionen Mark hinterlassen habe, das er nur provisorisch mit Bundesgeldern stopfte. Die Hochschulen, deren Präsidenten in der kommenden Woche bei der SPD vorsprechen sollen, wünschen sich ganz offen „mehr Geld“, so die Sprecherin der Technischen Universität (TU), Kristina Zerges.

Ein bisschen diplomatischer formuliert es der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) – und meint doch dasselbe. „Die Finanzpolitik darf nicht alle Wachstumspotenziale beschneiden“, sagt DGB-Sprecher Dieter Pienkny. Vor allem bei den Zukunftsinvestitionen in Bildung und Infrastruktur dürfe nicht länger gespart werden. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hätte gerne zusätzliche Lehrerstellen, und der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) ist der Personalabbau im öffentlichen Dienst naturgemäß ein Dorn im Auge. Teure Wünsche hat auch die Industrie- und Handelskammer (IHK): Gewerbesteuer abschaffen, Grundsteuer senken, mehr Geld in die Instandhaltung der Straßen stecken. Gleichzeitig fordert die IHK allerdings den Abbau des Berliner Schuldenbergs.

Die Koalitionsverhandlungen selbst beginnen am Sonntagnachmittag im Roten Rathaus. Die SPD hält an ihrem Ansinnen fest, eine zwölfköpfige Verhandlungskommission zu entsenden – schließlich müssen Ost und West, Frauen und Männer, Rechte und Linke austariert werden.

Gestern nachmittag zeichnete sich ab, dass die CDU nachrüstet und ihr fünfköpfiges Team ebenfalls aufstockt. Außer der Bundesministerin Christine Bergmann wird jeder SPD-Unterhändler die Leitung einer internen Arbeitsgruppe übernehmen. In der Koalitionsrunde am Sonntag wird zunächst der Zeitplan und die Reihenfolge der Themen festgelegt. Ralph Bollmann