Rotoren mit Durchhänger

■  Mal steht eine Einzelanlage still, mal drehen sich einige ganz kräftig im Wind, und mitten im Konverterpark will eine Mühle absolut nicht laufen. Meistens gibt es für stille Rotoren eine plausible Erklärung – manchmal auch nicht

„Ein ruhender Rotor ist für manche der weithin sichtbare Beleg, dass die Windenergie hier bei uns angeblich nichts bringt.“

Sie sieht einfach schön aus. 55 Meter hoch ragt die DeWind-Anlage in den blauen Himmel der Hinsbecker Schweiz, etwa 45 Kilometer westlich von Düsseldorf. Direkt neben dem High-Tech-Rotor steht eine historische Hollandmühle. „Hier ist die Kraft des Windes schon seit dem Mittelalter genutzt worden“, erzählt Leo Nöthlichs, Geschäftsführer der Planungsgesellschaft Umweltkontor. Während die alte Mühle oft klappernd ihre Flügel schwingt, hat die moderne Schwester, die immerhin über eine technische Leistung von 600 Kilowatt (kW) verfügt, Probleme in Gang zu kommen. Im Klartext: Sie steht oft still und sorgt deswegen für Diskussionsstoff in der Gemeinde Nettetal. Sehr zum Ärger der 31 örtlichen Windkraftfans, die die Anlage als Bürgerwindrad finanziert haben. „Weil die Mühle sich so selten dreht, fragen sich natürlich viele Leute, ob Windenergie überhaupt Sinn macht“, erklärt Nöthlichs.

Der Zorn von Planern und Betreibern richtet sich gegen die Stadtwerke Nettetal. Die DeWind-Anlage ist ein ausgereiftes Serienprodukt, technisch solide, fürs Binnenland optimal geeignet. Der Grund für die langen Zwangspausen liegt allerdings gleichsam im Boden versteckt: Die Spannung im Netz der Stadtwerke Nettetal ist oft zu hoch, und genau das führt zu einer Abschaltung der Mühle durch ein eingebautes Netzschutzrelais. „Wir haben nur Ärger mit den Verantwortlichen der Stadtwerke“, schimpft Leo Nöthlichs. Der kommunale Energieversorger hält sich, so die Vorwürfe der Planer, nicht an die Absprachen, die Netzspannung auf ein niedriges Niveau runter zu fahren. Die Folge: Ist die Spannung zu hoch, knallt bei dem Propeller quasi eine Sicherung durch, die Mühle steht. Bundesweit ein einmaliger Fall von Blockadepolitik. Den Schaden haben die Windradbetreiber. Allein im vorigen Jahr mussten sie einen durch Stillstand bedingten Produktionsausfall von fast 400.000 Kilowattstunden (kWh) in Kauf nehmen. Schaut man sich an verschiedenen Standorten um, so stellt man fest, dass die Propeller im Durchschnitt sehr gut laufen. „Bei den von uns ausgewerteten Windrädern kommen wir auf einen statistischen Wert von 95 bis 99 Prozent bei der Verfügbarkeit der Konverter“, meint Helmut Häuser, Leiter der Ingenieur-Werkstatt (IWET) in Hamburg. Der Windpionier wertet seit Jahren die Betriebsergebnisse von über 1.000 Propellern aus. Sein Fazit: Das Qualitätsmanagement bei den Herstellern ist besser geworden, dadurch konnte die Zuverlässigkeit der Anlagen deutlich optimiert werden.

Ähnlich bewertet Klaus Otto die technische Präsenz der Rotoren. Otto ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Solare Energieversorgungstechnik (ISET) in Kassel. Dort betreut er das 250-Megawatt-Wind-Programm des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Einmal im Jahr werden dort die technischen Daten von 1.500 Windkraftanlagen zusammengefasst und publiziert. Im Durchschnitt erhält Otto 5.000 bis 6.000 Störfallberichte von den Betreibern, die Klarheit darüber geben, warum eine Mühle sich nicht drehen konnte. Zu den Hauptursachen zählen Schäden durch Blitzschlag, Stillstände in der Winterzeit wegen Vereisung der Flügel und Ausfälle bei der Elektronik durch Probleme mit der Netzspannung.

Merkwürdige Ausnahmen gibt es dennoch. Eine große Tacke-Anlage stand mehrere Wochen still, eine Megawatt-Mühle, die dem RWE-Konzern gehört. Bei Tacke hieß es auf Anfrage, von RWE habe sich niemand gemeldet. „Ein ruhender Rotor ist für die doch der beste und weithin sichtbare Beleg, dass die Windenergie angeblich nichts bringt“, ärgert sich Windparkplaner Matthias Kynast über die schlappe RWE-Mühle.

Ein anderes Problem liegt in der Netzkapazität: Wenn in einem Windpark 20 Propeller volle Leistung bringen, die Aufnahmekapazität des Netzes das aber nicht verkraftet, kann es passieren, dass die eine oder andere Anlage gedrosselt wird und langsamer läuft oder auch ganz vom Netz genommen wird. „Das kann durchaus passieren“, meint Walter Eggersglüß, Energieberater bei der Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein. Auch er veröffentlicht einmal im Jahr die Praxisergebnisse von rund 1.000 Windrädern. Sein Ergebnis: Stillstand der Rotoren durch technische Störungen ist gering. „Im Jahresdurchschnitt kommen wir auf eine Einschränkung der Lauftätigkeit von 3,2 Tagen“, meint Eggersglüß.

Ein weiterer Grund für vorübergehende Pausen: technisch bedingte Stillstandszeiten. Windräder sind ausgefeilte High-Tech-Anlagen, deren Rotoren zu warten sind. Hauptlager fetten, Ölstand im Getriebe prüfen – alles übliche Wartungsarbeiten in festgelegten Intervallen. „Auch ein Auto braucht Ölwechsel“, meint Eggersglüß. Und wie bei neuen PKW verlängern sich bei den neuesten Anlagen auch die Abstände zwischen den Routine-Checks.

Mit der steigenden Zahl von Anlagen – allein bis zum Ende des Jahres rechnet der Bundesverband Windenergie (BWE) mit 7.500 Turbinen mit einer Gesamtleistung von 4.000 MW – stehen die Hersteller vor einer neuen Herausforderung. Nur durch einen perfekt organisierten Service lassen sich unnötige Stillstandszeiten vermeiden. „Wartung und 24-Stunden-Service werden immer wichtiger. Je schneller die technischen Teams vor Ort sind, umso geringer sind die Leerlaufzeiten für die Anlagenbetreiber“, meint DeWind-Geschäftsführer Hugo Schippmann.

Doch der beste Service nützt nichts, wenn den Rotoren ganz einfach der Wind weg bleibt. Nur über solche banalen Ursachen braucht man sich wohl keine Gedanken zu machen. Im Regelfall laufen die meisten Anlagen, beginnen sich zu drehen, sobald der Wind mit einer Geschwindigkeit von 2,5 bis 3 Meter pro Sekunde über die Flügel streicht. Und die Technik hat sich nach Erkenntnissen der Kasseler ISET-Windexperten bewährt. Wissenschaftler Klaus Otto: „Einen eigentlich zu erwartenden Trend wachsender Störungshäufigkeit bei zunehmender Betriebszeit der Anlagen konnten wir bisher nicht erkennen.“

Michael Franken