Tottenham plötzlich ganz schwarz

Youri Djorkaeff eifert den französischen Rugbyspielern nach und bahnt dem 1. FC Kaiserslautern den Weg in die dritte Runde des Uefa-Pokals    ■ Von Günter Rohrbacher-List

Kein taktischer Schachzug des Otto Rehhagel, der mit seinen 15 Jahren Europapokal-Erfahrung prahlte, hatte gegriffen

Kaiserslautern (taz) – Angeblich genießen die Fans von Tottenham Hotspur nichts mehr, als wenn eine Krise ihrer Mannschaft von der nächsten Krise überlagert wird. Zum Trost, so sagt man, trinken sie dann ausländisches Bier, lesen die Financial Times und das Alte Testament. Am Donnerstagabend hatten sie zunächst einmal ersteres besonders nötig.

Als der baskische Schiedsrichter Juan Ansuategui Roca das Rückspiel der Spurs beim 1. FC Kaiserslautern nach 95 Minuten abgepfiffen hatte, strömten die erst in der Nachspielzeit geschlagenen Nordlondoner Spieler zu ihren Fans vor Block eins, bedankten sich für deren Unterstützung und konnten überhaupt noch nicht fassen, was da in den Spielminuten 90 plus eins und 90 plus drei geschehen war. „Wenn du so verlierst, ist das sehr grausam“, sinnierte Spurs-Manager George Graham, blickte aber bereits voraus auf den viel wichtigeren Prestigekampf heute Nachmittag gegen den Erzrivalen FC Arsenal.

Nach dem 1:0 im Hinspiel an der White Hart Lane hatte Graham sein Team defensiv eingestellt und eine Taktik gewählt, die bis zum Ende der regulären Spielzeit aufging. Seinen besten Fußballspieler, den Franzosen David Ginola, nach der letzten Saison zum „Player of the Year“ in der Premier League gekürt, hatte Graham geopfert und den schönsten Profi im englischen Fußball dem Lauterer Publikum bis zur 81. Minute vorenthalten. Als die Roten Teufel bereits am dichten Abwehrblock der Spurs verzweifelt und einige hundert Zuschauer aus dem Fritz-Walter-Stadion geflohen waren, um rechtzeitig nach Hause zu kommen, geschah das Unfassbare. Es ließ zwei Dutzend britische Journalisten, die sich bereits zufrieden in ihren Schalensitzen zurückgelehnt hatten, erstarren, und 2.000 Fans, die ihr Team weitaus engagierter und lauter unterstützt hatten als die leise gewordene Westtribüne ihre Lauterer, verstummen.

Was war geschehen? Kein taktischer Schachzug des Otto Rehhagel, der hinterher mit seinen 15 Jahren Europapokal-Erfahrung prahlte, hatte gegriffen. Keine geniale Einwechslung war dem Trainer geglückt, denn alle seine Neuen, die in der letzten Viertelstunde gekommen waren, erwiesen sich als glatte Ausfälle. Jörgen Pettersson in guter Gladbacher Tradition, Igli Tare ohne jedes technische Verständnis und der entzauberte Marco Reich hatten weder Ideen noch Durchsetzungsvermögen, um den 1. FCK doch noch in die dritte Runde des Uefa-Pokals zu bringen.

Solches gelingt nur inspirierten Fußballkünstlern, denen plötzlich klar wird, um was es geht, und dass in vier oder fünf Minuten alles vorbei sein wird, wenn nicht noch das sprichwörtliche Wunder geschieht. „Wir müssen jetzt unbedingt ein Tor schießen, habe ich gedacht, und dann bin ich gelaufen und gelaufen, bis ich Andreas Buck rechts allein habe kommen sehen“, dozierte Youri Djorkaeff hinterher im Stil eines weisen Fußball-Professors. Wie die französischen Rugbyspieler am letzten Sonntag gegen die neuseeländischen All Blacks bahnte sich der Weltmeister aus der „Equipe Tricolore“ seinen Weg durch das Abwehrdickicht von Tottenham. Dass Buck zwei Minuten nach seinem 1:0 bei Djorkaeffs Doublette erneut traf – Steve Carr, der Verteidiger, konnte den scharf geschossenen Ball nur noch ins eigene Tor ablenken –, raubte den 29.044 Zuschauern die Freude einer dramatischen Verlängerung und das anschließende Glücksspiel Elfmeterschießen. Denn abgesehen von den beiden Eingebungen des Youri Djorkaeff war das Spiel, in dem die Lauterer meist ideenlos nach vorne rannten und unzählige Abspielfehler produzierten, schlecht.

Durch das Weiterkommen im Uefa-Pokal bleibt der Burgfrieden in der Pfalz zumindest bis morgen Abend, wenn Schalke 04 kommt, erst einmal erhalten. Das Gefüge der Mannschaft ist anno 1999 durcheinandergeraten, die alten Hierarchien bröckeln, und einstige Leistungsträger wie Michael Schjönberg schwächeln unaufhaltsam vor sich hin. Dass von den Neuen außer Youri Djorkaeff gerade noch der Luxemburger Jeff Strasser eingeschlagen hat, spricht vor allem für den forschen Neuzugang vom Nachbarn FC Metz, nicht aber für Otto Rehhagels einstige Gabe, die richtigen Spieler zur rechten Zeit auszudeuten.

1. FC Kaiserslautern: Reinke - Ramzy (86. Reich) - Koch, Schjönberg (83. Tare) - Buck, Ratinho, Sforza, Strasser - Djorkaeff - Marschall (74. Pettersson), Hristow

Tottenham Hotspur: Walker - Carr, Campbell, Perry, Edinburgh (76. Young) - Leonardsen, Freund, Sherwood, Clemence, Iversen - Armstrong (81. Ginola)

Zuschauer: 29.044; Tore: 1:0 Buck (90.), 2:0 Carr (90./Eigentor)