Butt und die Neunziger

■ Der HSV-Keeper verschuldet zwei Tore und schießt selbst mal wieder eines

Hans-Jörg Butt liest sicherlich eher Rosamunde Pilcher als Peter Handke. Wohl auch deshalb ist die „Angst des Torwarts beim Elfmeter“ nicht seine Sache. Zumal er bei Strafstößen häufiger als Schütze denn als Toreverhinderer fungiert. Und so verwandelt er in schöner Regelmäßigkeit die Penalties seiner Mannschaft. Das tat er auch am Freitagabend beim 3:3 im Rostocker Ostseestadion, wo er das 1:2 erzielte. Doch anders als bei den elf zuvor verwandelten Elfern gab es für Butt dieses Mal Grund zur Selbstkritik: Denn nur die 1:0-Führung durch Timo Lange ging nicht auf sein Konto: Die beiden Heber von Steffen Baumgart und Kai Oswald hätten den HSV niemals in Bedrängnis gebracht, wäre Butt dort geblieben, wo gemeinhin der Tätigkeitsberich eines Torwartes liegt. Doch statt im Tor zu bleiben, turnte er zwei mal viel zu weit vor der Linie herum – offenbar in freudiger Erwartung des nächsten Elfmeterpfiffes für sein Team, das durch Grammozis und Grubac immerhin noch zwei mal traf.

Der HSV ist nun Tabellen-Dritter, auch dank seines Keepers, der unbestritten zu den besten der Liga zählt. Dass Butt allerdings aufgrund seiner Elfer-Künste medial zur „Kultfigur“ erklärt wurde, sagt wenig über den Geehrten und viel über eine Epoche aus. Denn „Kult“ ist von „Nutella“ über „Lindenstrasse“ in den Neunzigern offenbar alles, was seit mehr als zehn Tagen Bestand hat. Und wenn es ein Keeper ist, der nach dem Schlusspfiff „Respekt und Glückwunsch an die Schützen“ nichtssagt. Christoph Ruf