Spediteur der Vernichtung

■ Die Eichmann-Dokumentation „Ein Spezialist“ im Abaton

Jerusalem, 1961: „Vernichtung? Das ist der Behörde, die mit den Fahrplan-Angelegenheiten zu tun hatte, nicht bewusst gewesen. – Das ist bedauerlich, aber nicht meine Schuld.“ Der Angeklagte Adolf Eichmann, unscheinbar, schütteres Haar, sitzt in seinem Glaskasten, putzt die Brille, pustet penibel ein paar Fusseln von den vor ihm ausgebreiteten Akten. Derweilen ringt der Ankläger um Fassung, den Angeklagten mit einem wilden Tier im Dschungel vergleichend. Die Monstrosität der Vernichtung, die Ausmaße des größten Verbrechens der Geschichte, lassen die unablässige, fast verzweifelte Suche nach Monstern, die dies begangen haben, fast verständlich erscheinen.

Doch nur zu oft sind es nicht die Grenzen des Verstehens, sondern durchsichtige Motive, die dabei walten. „Hitler – Das Monster des 20. Jahrhunderts“, wie Der Spiegel jüngst lüstern titelte, und der von Götz George neulich so höllisch mephistophelisch interpretierte „Todesengel von Auschwitz“, Josef Mengele: Neuauflagen des alten Bedürfnisses, die Verantwortung für den namenlosen Schrecken an einzelne Inkarnationen des Bösen abzudelegieren. Werden aber die vielen Zahnrädchen der Maschinerie in den Blick genommen, man denke nur an die „Wehrmachtsausstellung“, setzt sich reflexartig Abwehr in Gang: Fahneneid, Befehl und Gehorsam, man wusste von nichts und so weiter. Und so Eichmann...

Ein Spezialist überrascht mit nüchterner Komposition. Die üblichen Zutaten klassischer Dokus über den Nationalsozialismus: Wochenschau-Ausschnitte, Bilder des Grauens, Hitlerreden, Off-Kommentar, Experteninterviews – alles Fehlanzeige. Der Prozess war seinerzeit von vier verdeckten Kameras aufgezeichnet worden. Das Ausgangsmaterial, 350 Stunden Videobänder, ist nun digitalisiert und bildet die alleinige Grundlage des gut zweistündigen Films von Rony Braumann und Eyal Sivan. Und diese unspektakulären Aufnahmen ziehen nach und nach in den Bann. Angeregt durch Hannah Arendts Bericht von der Banalität des Bösen konturiert der Film einen Schreibtischtäter, der in Bürokratendeutsch von „Unzukömmlichkeiten“ redet, die Juden zu dulden hatten, der die Vernichtung immerzu eine „Angelegenheit“ nennt und den Richtern seine repetitiven „Jawohls“ andienert. „Er hat sich nur niemals vorgestellt, was er eigentlich anstellte“, schreibt Hannah Arendt über Eichmanns Disposition, und: „Daß eine solche Realitätsferne und Gedankenlosigkeit in einem mehr Unheil anrichten können als alle die dem Menschen vielleicht innewohnenden Triebe zusammengenommen, das war in der Tat die Lektion, die man in Jerusalem lernen konnte.“

Diese Lektion erteilt auch der Film, und das macht ihn so bemerkenswert – trotz digitalen Materialtunings und sporadischen Verzerrungen der Tonspur, die mitunter eher effekthascherisch entbanalisieren, als dass ihnen eine tatsächlich kritische Notwendigkeit zukäme.

Tim Gallwitz

Mit den Gästen Jan Philipp Reemstma und Regisseur Eyal Sivan, heute, Abaton, 19.30 Uhr