Im Herrgottswinkel tut sich was unter dem Korb

■ Der SSV Weißenfels lernt von Alba Berlin und etabliert Basketball im Osten

Weißenfels (taz) – Der Mann sieht aus wie der Fußballer Luis Enrique vom FC Barcelona. Er entsteigt einem Kleinwagen, auf dem dick der Slogan steht: „Lebe deine Sünden – die Weißenfelser Wölfe.“ Er schlendert zum Istanbul-Grill, ordert einen gewaltigen Döner. Santiago Ibanez Nacher, so heißt der hungrige Basketballer, wähnt sich unbeobachtet. Aber wenige Meter entfernt sitzt sein Coach Frank Menz und referiert in einem Café am Marktplatz über professionelle Einstellung. In eineinhalb Stunden beginnt das Nachmittagstraining. Menz ist nicht überrascht von Nachers kalorienreicher Vorbereitung. „Einige Spieler sind bei uns die fittesten, obwohl die nur Blödsinn essen, so ein Scheiß wie Fleisch, Pommes und Burger“, sagt Menz. Und die Amis sähe man fast nur bei McDonald's.

Vor Menz steht eine Apfelsaftschorle. Er sagt: „Ich kann den Spielern nicht vorschreiben, was sie essen, ich kann ihnen nur langsam ein paar Grundzüge der Ernährungsphysiologie beibringen.“ Vielleicht ist mangelnde Aufklärung die Ursache, warum Ibanez Nacher nicht am Müsliriegel nagt, sondern auf Cholesterinbomben steht. Aber selbst wenn in Ernährungsfragen noch manches schief geht, auf dem Parkett der ersten Bundesliga schlägt sich der SSV Weißenfels erstaunlich gut. Nach einer Eingewöhnungsphase mit drei Niederlagen in Folge steht der Aufsteiger nun auf Platz sieben der Tabelle. Am Freitag wurden sogar die Skyliners aus Frankfurt mit 90:89 Punkten besiegt.

Weißenfels spielt das erste Jahr in der ersten Liga. Und hat große Pläne. Präsident Jochen Stumpf erklärt, man wolle die Rolle des FC Hansa Rostock übernehmen. Oder so bedeutend werden wie die Handballer in Magdeburg, also zu einem Identifikationspunkt ostdeutschen Sports. In vier, fünf Jahren soll Weißenfels an europäischen Vereinswettbewerben teilnehmen, dem Korac-Cup etwa. Die Region um Halle, Leipzig und Naumburg sei schließlich die größte Wachstumsregion in Mitteleuropa, sagt Stumpf.

Der Trainer geht es verhaltener an. Er spricht von Klassenerhalt. Menz weiß, wie vergänglich Erfolg sein kann. Sein Team stand nach der Niederlage im letzten Relegationsspiel gegen den TV Lich vor dem Nichts. Ein einziger Dreier fehlte zum Aufstieg. Eine weitere Zweitligasaison drohte. Doch dann tauschte Weißenfels die Lizenz mit dem SV Oberelchingen.

Die Saalestadt mit ihren 40.000 Einwohnern ist basketballverrückt. Die Stimmung in der Sporthalle West erinnert an die Euphorie während der March Madness, dem durchgeknallten Final-Monat im US-amerikanischen College-Basketball. Aber nur 700 Fans finden in der alten Schulsporthalle Platz. Der Deutsche Basketball-Bund (DBB) drängt auf Umzug. In Weißenfels verzögerte sich die Erteilung der Baugenehmigung. Also beschloss der SSV, die nächste Saison auf dem Dorf zu spielen, in der nahe gelegenen Gemeinde Spergau, eine der reichsten Deutschlands. Spergau verzichtete nach der Wende auf den Verkauf von Grund und Boden an umliegende Chemiekonzerne, verpachtete lieber und ist jetzt zwar von Abluft umwabert, dafür finanziell weich gebettet.

Weißenfels will sich als Basketballhochburg im Osten etablieren. Lehrmeister ist Champion Alba Berlin, der am kommenden Sonntag seinen Protegé in der Max-Schmeling-Halle empfängt. Beide Teams werden nicht nur von der gleichen Agentur vermarktet, auch Trainer Menz spielte bei Alba. Genauso wie Manager Ingo Wolf. Und Aufbauspieler Ingo Freyer holte 1995 mit den Berlinern den Korac-Cup. Die Verbindungen sind eng. Das Umfeld beider Vereine ist aber kaum vergleichbar. Auf die Wirtschaftskraft in Berlin und ein entsprechend hohes Budget kann Weißenfels nur neidvoll blicken.

Ingo Freyer spricht sich von Neidkomplexen frei. Er dribble gerne im ostdeutschen Hergottswinkel, versichert er. Zudem habe er durchaus positive Unterschiede zu Alba ausgemacht. „In Berlin hat man den Präsidenten in zwei Jahren nur ein paarmal in der VIP-Lounge gesehen, hier ist alles familiärer.“ Es gebe aber eine fruchtbare Verbindung zwischen Weißenfels und Berlin, da im Umfeld beider Städte viel in Bewegung sei – „im Gegensatz zu München, Ulm oder Hagen“, sagt der 28-Jährige.

Dann beginnt das Nachmittagstraining. Freyer hat eine Auszeit genommen. Sein Kollege Ibanez Nacher sowieso. In Zivil hockt er auf den Rängen. Er hat gehört, dass der Coach ihn mit dem Döner gesehen hat. Kein Problem. Nacher hält sich theatralisch den Bauch, bläht die Backen auf und blickt schelmisch zum Trainer. Der winkt nur ab und sagt: „Der Santiago braucht mal eine Freundin, die ihn ordentlich bekocht.“

Markus Völker