Druck machen, bevor es zu spät ist

taz-Serie „Viele gute Gründe für den Atomausstieg“. Wendländer Bauern ziehen per Trecker nach Berlin und gegen die Atompolitik der Bundesregierung  ■   Aus Hannover Jürgen Voges

Ein übergroßer Traktor, ein bisschen schief oben auf dem Brandenburger Tor postiert, das ist das Symbol der „Stunkparade“, mit der die Bauern aus dem Landkreis Lüchow-Dannenberg am kommenden Wochenende der Bundesregierung so richtig aufs Dach steigen wollen.

Mit über hundert Traktoren will die wendländische Bäuerliche Notgemeinschaft am Samstag „dem angeblichen Atomkraftgegner und jetzigen Bundeskanzler Gerhard Schröder ihre Referenz erweisen“. Schon am Freitagmorgen um acht Uhr soll der Konvoi aus Traktoren und Zugmaschinen mit Anhängern am Gildehaus in Lüchow starten und über die Bundesstraße 5 nach Berlin trecken.

Den „Stunk“, mit dem die Bauern dann am Samstag in der Bundeshauptstadt ihrem Unmut Ausdruck geben werden, sollte man allerdings nicht allzu wörtlich nehmen. „Wir werden da keinen Mist abkippen“, sagt etwa Hermann Bammel, der in Schlannau im Süden des Landkreises Lüchow-Dannenberg einen 100-Hektar-Hof bewirtschaftet. Man wolle lediglich alles anmahnen, „was die Bundesregierung beim Atomausstieg versprochen hat und was leider bisher nicht passiert ist“.

Wie das aussehen kann, zeigen die bereits fertigen Transparente: „Der Trog ist der derselbe gelieben, nur die Ferkel haben gewechselt“. Bammel persönlich favorisiert die Parole: „Fällt der Bauer von dem Traktor, steht in der Nähe eine Reaktor“. Man müsse jetzt, im Vorfeld der nächsten Konsensrunde der Bundesregierung mit den AKW-Betreibern auf der Straße Druck machen. „Wenn die Abkommen mit den Betreibern erst unterschrieben sind, ist es zu spät.“

Bammel erinnert sich noch daran, dass Schröder selbst seinerzeit gegen die Endlagerung vom Atommüll in Gorleben gekämpft habe. „Gerhard, wir kommen“, lautet denn auch der zentrale Aufruf der Bäuerlichen Notgemeinschaft.

Jetzt, nach einem Jahr rot-grüner Regierungspolitik, vermissen die Bauern nicht nur das seit langen versprochene Moratorium für das Endlager Gorleben und den Austieg aus der Wiederaufarbeitung von Atommüll. Sie fürchten auch, dass Rot-Grün demnächst das Endlager Schacht-Konrad, die Pilotkonditionierungsanlage Gorleben genehmigen, den Transportstopp für Castorbehälter aufheben und den Dauerbetrieb von AKWs durch Zwischenlager an den Standorten sichern wird.

Der heute 57-jährige Bammel war schon dabei, als die Landwirte aus dem Wendland vor 20 Jahren im März 1979 zum ersten Mal mit ihren Maschinen zu einem großen Treck aufbrachen, um gegen das im Landkreis Lüchow-Dannenberg geplante „Nukleare Entsorgungszentrum“ samt Wiederaufarbeitungsanlage Front zu machen.

Auf erneut 100.000 AKW-Gegner hofft die Bäuerliche Notgemeinschaft zwar nicht, wenn sich ihr Zug am Samstag um 12 Uhr am Brandenburger Tor „mit den nicht motorisierten AKW-Gegnern“ vereinigt, rund 10.000 sollen es aber schon sein. Immerhin hat die BI selbst einen Sonderzug mit 750 Plätzen gechartert, der am Samstagmorgen um acht Uhr von Salzwedel in die Haupstadt fährt. In 38 weiteren Städten haben AKW-Gegner Busse nach Berlin gemietet. Auch einige Grünen-Kreisverbände wollen dabei sein. „Grüne in Berlin. Wir demonstrieren, weil wir von unserer Regierung mehr erwarten“, lautet der Text einer Anzeige, mit der Politikerinnen wie die niedersächsische Fraktionsvorsitzende Rebecca Harms oder die ehemalige Europaabgeordnete Undine von Blottnitz zu der Stunkparade aufgerufen haben.

Über die Möglichkeiten zur Anreise nach Berlin kann man sich bei der BI Lüchow-Dannenberg, Tel. (0 58 41) 46 84, oder über die Web-Site www.stunkparade.de informieren.