Der 18. Brumaire des Napoleon Bonaparte

Vor 200 Jahren beendete der Militärputsch Napoleon Bonapartes das Jahrzehnt der Französischen Revolution  ■   Von Wolfgang Kruse

Allein die „Soldaten der Freiheit“ schienen die Zukunft der Nation noch sichern zu können

Der 9. November ist für Deutschland ein schwieriger Jahrestag. Er verweist nicht nur auf den glücklichen Fall der Berliner Mauer, sondern auch auf die Novemberrevolution von 1918 und die „Reichskristallnacht“ von 1938. Gerade heute, zehn Jahre nach dem Mauerfall, scheint es freilich reizvoll, die nationale Gedenkperspektive durch den Hinweis auf einen anderen Jahrestag von weltgeschichtlicher Bedeutung zu erweitern. Denn vor 200 Jahren, am 9. November 1799, dem 18. Brumaire des Revolutionskalenders, putschte General Bonaparte gegen die verfassungsmäßige Ordnung der Französischen Republik und beendete damit einen zehnjährigen Prozess von welthistorischer Bedeutung, der zuvor alle Spiel- und Abarten der modernen Demokratie durchexerziert und damit die ganze Welt in Atem gehalten hatte – die Große Französische Revolution.

Die Welt kam darüber aber nicht zur Ruhe. Denn Bonaparte, der „Weltgeist zu Pferde“ (Hegel), der sich am 2. Dezember 1804 als Napoleon I. zum französischen Kaiser krönte, schickte sich nun mit seinen allen anderen Gegnern weit überlegenen Armeen an, das europäische und das deutsche Staatensystem zu revolutionieren. Erst nach der russischen Niederlage der Grande Armée konnte die vereinte Militärmacht aller europäischer Großmächte die Herrschaft des Imperators in den Befreiungskriegen von 1813/15 beenden.

Es ist oft darüber diskutiert worden, ob Bonaparte der Totengräber oder eher der Testamentsvollstrecker der Französischen Revolution war. Seine militärische Überlegenheit basierte auf den sozialen und militärischen Neuerungen der Revolution. Seine Armeen fegten überkommene staatliche und gesellschaftliche Verhältnisse hinweg, und mit den exportierten neuen Rechtsformen waren bedeutende Modernisierungsleistungen verbunden. Doch einmal abgesehen davon, dass für die betroffene Bevölkerung eher Fremdherrschaft, Ausbeutung und Krieg im Zentrum ihrer Erfahrungen mit der französischen Expansion standen, Bonapartes Staatsstreich setzte dem 1789 begonnenen Revolutionsprozess ein klares Ende und leitete eine gesellschaftspolitische Neuordnung ein, der viele revolutionäre Errungenschaften zum Opfer fielen. Und so stand die Französische Revolution nicht nur an der Wiege der modernen Demokratie, mit ihren politischen und sozialen Konflikten, sondern auch an der Wiege eines modernen Militarismus. Sie hatte alle dafür notwendigen Zutaten entwickelt, von der ideologischen Rechtfertigung des Krieges über die innere Militarisierung der Bevölkerung, die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht und die Ausbildung eines Militärapparates von bislang undenkbaren Ausmaßen hin zu einem neuartigen, eben so revolutionären wie antibürgerlichen Selbstverständnis des Militärs und, nicht zuletzt, einem nunmehr auch politischen Machtanspruch der Generäle.

Die Revolution selbst war ursprünglich weder militaristisch noch expansiv orientiert. Zwar proklamierte sie die Identität von Bürger und Soldat, doch zielte dies nicht auf die Militarisierung der zivilen Gesellschaft. Es ging um die Kontrolle und Umformung des traditionellen absolutistischen Militärapparates, in dem die Revolutionäre mit gutem Grund ihren politischen Hauptfeind sahen. Und wenn sie davon sprachen, dass ihre Revolution die Welt erobern sollte, dann war dies alles andere als kriegerisch gemeint; man erwartete vielmehr, die anderen Nationen würden sich das Werk der Revolution zum Vorbild nehmen. Entsprechend reagierte die Nationalversammlung im Mai 1790 auf Rüstungsforderungen des Königs mit ihrer berühmten Friedenserklärung an die Völker der Welt. Gut zwei Jahre später jedoch, im November 1792, wurde daraus ein militärisches Beistandsangebot an alle Völker, die sich gegen ihre Herrscher erheben wollten. Der ideelle Universalismus der Revolution verwandelte sich, noch immer revolutionär legitimiert, in einen kriegerischen Expansionismus.

Es war die wachsende Konfrontation zwischen den Mächten der alten Ordnung und dem revolutionären Frankreich, die zu diesem Umschwung führte. Schon im Laufe des Jahres 1791 hatte eine wachsende Zahl von Revolutionären dem anmaßenden militärischen Druck der Monarchen von Österreich, Preußen und Russland, die eine innere Mäßigung der Revolution und eine Stärkung der Position von Ludwig XIV. erzwingen wollten, das Projekt eines kriegerischen Revolutionsexports entgegengestellt, das mit dem Kriegsbeginn im April 1792 zur offiziellen Ideologie wurde.

Zweifellos waren die Revolutionäre von der naiven Überzeugung inspiriert, dass die Bürgersoldaten den traditionellen Söldnerheeren weit überlegen seien und ein Sieg der Revolution außer Frage stünde. Dies erwies sich indes erst einmal als Illusion, und der Krieg wurde fortan zu einem Wesenselement der Revolution, ohne das ihre terroristische Radikalisierung nicht erklärt werden kann.

Immer mehr Bürgersoldaten mussten für die Landesverteidigung aufgeboten werden, und die Aushebungen provozierten den Bürgerkrieg im Innern, der wiederum den von den Revolutionären seit langem gehegten Gedanken nährte, die äußeren und die inneren Feinde der Revolution würden gemeinsame Sache machen. Erst die im August 1793 verkündete „levée en masse“ schuf so die Voraussetzungen für den Sieg der Republik, und ihr korrespondierte der wenige Tage später offiziell inaugurierte Terror gegen den inneren Feind.

Als die Armee nach dem Sturz der Terrorherrschaft zum Zufluchtsort verfolgter Revolutionäre geworden war und die zivile Politik ihre bislang rigide Kontrolle über die neue, im Krieg hochgekommene Generalität nicht mehr aufrechterhalten konnte, stiegen die siegreichen Militärführer, die Hoche, Jourdan und Moreau, Bernadotte, Joubert und, der jüngste und erfolgreichste, Bonaparte, in den von ihnen kontrollierten Gebieten zu weitgehend unumschränkten Herrschern auf. Der wachsende Machtanspruch der Generäle konnte sich nicht zuletzt auf einen Diskurs stützen, der die Armeen als einzigen Hort revolutionärer Tugend gegenüber einer verkommenen zivilen Gesellschaft erscheinen ließ.

So schienen allein die von wahrer Vaterlandsliebe geprägten „Soldaten der Freiheit“ noch die Zukunft der Nation sichern zu können, und ihre zu militärisch-revolutionären Helden stilisierten Führer begannen die Idee zu entwickeln, dass sie sich nach dem Sieg über die äußeren Feinde der Revolution möglicherweise auch dem inneren Feind zuwenden müssten.

Der ideelle Universalismus der Revolution verwandelte sich in einen kriegerischen Expansionismus

Der 18. Fructidor, also der 4. September 1797, wurde schließlich zur Generalprobe des Brumaire 1799: Mit einem von Bonaparte initiierten Adressensturm drängten die Militärs die Regierung zu einem Staatsstreich gegen die inzwischen wiederum mehrheitlich monarchistisch orientierte Volksvertretung. Bonapartes rechte Hand, General Augereau, übernahm das Kommando der um Paris stationierten Truppen, die die Stadt am 4. September besetzten.

Auch wenn sich dieser Staatsstreich formal noch unter der Regie ziviler republikanischer Politiker vollzogen hatte, so war die Abhängigkeit der Politik von den Militärs doch dabei ebenso deutlich zutage getreten wie der politische Machtanspruch der Generäle selbst. Der Beginn des zweiten Koalitionskrieges der europäischen Mächte gegen das revolutionäre Frankreich im Jahr 1798 musste ihre Position noch weiter stärken. Als die französischen Armeen 1799 an allen Fronten gravierende Niederlagen hinnehmen mussten und auch im Innern der Kampf zwischen gemäßigten Republikanern, Neojakobinern und Monarchisten den Ruf nach einem „Retter des Vaterlandes“ aufkommen ließ, war Bonaparte im weit entfernten Ägypten.

Zwar erwies sich sein Feldzug letztlich als ein militärisches Desaster, doch seinem Ansehen entstand daraus kein Schaden. Und so war es schließlich der bei seiner Rückkehr aus Ägypten von der Bevölkerung mit großem Jubel begrüßte Bonaparte, den der allgegenwärtige politische Strippenzieher Emmanuel Sieyès zum militärischen Verbündeten erkor, um der Revolution eine neue Ordnung zu geben. Doch Sieyès unterlief dabei eine folgenschwere Unterschätzung des Generals, der sein Ansehen und seine militärische Macht keineswegs nur nutzen wollte, um anderen den Weg zu ebnen, sondern der selbst die politische Macht an sich reißen wollte.

Der Historiker Wolfgang Kruse lehrt an der FernUniversität Gesamthochschule in Hagen Neuere Geschichte.