Schuld plus Scham

■ „Allerleirauh“ berät seit zehn Jahren missbrauchte Mädchen und junge Frauen

Die Dynamik ist immer gleich: „Männer missbrauchen Mädchen und schaffen es, sie jahrelang ruhig zu halten“, sagt Sabine Ströbele von „Allerleirauh“, der Beratungsstelle bei sexuellem Missbrauch von Mädchen und jungen Frauen bis 27. Die Beratungsstelle ist jetzt zehn Jahre alt, die Dynamik noch viel älter. „Die Männer reden den Mädchen das Gefühl der Schuld ein“, sagt die Psychologin. Schuld plus Scham gleich Schweigen.

Irgendwann brechen viele Mädchen dieses Schweigen. „Aber erst wenn sie alt genug sind, sich von ihrer Familie zu distanzieren, reden sie“, sagt Psychologin Monika Borek. Das können, müssen sie bei „Allerleirauh“ aber nicht. „Viele sind erleichtert darüber, dass sie nicht gleich alles auf den Tisch legen müssen“, sagt Monika Borek. Die Mädchen kommen, so oft sie wollen. Einigen vermitteln die Beraterinnen Therapieplätze.

Angefangen hat die Beratungsstelle als Hilfsangebot für miss-brauchte Mädchen. Im Laufe der Zeit ist Prävention immer wichtiger geworden. Aus zwei ABM-Stellen wurden inzwischen drei feste Arbeitsplätze, die sich fünf Frauen teilen. „Wir arbeiten inzwischen auch mit Multiplikatoren wie Lehrerinnen und Erzieherinnen“, sagt Christa Paul. Die sollen im Kopf haben, dass Missbrauch Ursache für auffälliges Verhalten sein könnte.

Aber es geht auch um Mütter. „Die verlieren in jedem Fall“, sagt Monika Borek. Sie haben entweder dem Kind nicht geholfen oder müssen den Mann verlassen. Hinzu kommen häufig Missverständnisse zwischen Müttern und Töchtern: „Die meisten Mütter sagen, dass sie nichts mitbekommen haben. Die Töchter nehmen das oft anders wahr und fühlen sich von Mutter und Vater gleichzeitig verlassen und verraten“.

Für die Zukunft wünschen sich die fünf Allerleirauh-Frauen mehr Forschung. „Es gibt zu wenig Erkenntnisse darüber, welche Erfolge unsere Arbeit hat. Man müsste Biografien langfristig untersuchen.“ Und um gegen die üblichen Klischees anzukämpfen, sollte man genau untersuchen, welche Formen des Missbrauchs welche Folgen haben.

„Allerleirauh“ ist unter 29834483 montags und mittwochs von 10 bis 12 und 14 bis 17 und freitags von 10 bis 12 Uhr zu erreichen. Sandra Wilsdorf