Sri Lankas Präsidentin räumt Verluste ein

■ LTTE-Rebellen erobern bei Offensive zehn Militärstützpunkte

Delhi (taz) – Sri Lankas Präsidentin Chandrika Kumaratunga hat erstmals eingeräumt, dass die Armee bei der jüngsten Offensive der „Befreiungstiger von Tamil Eelam“ (LTTE) Gelände im Norden der Insel an die Rebellen verloren hat. In einer am Montagabend veröffentlichten Erklärung warf die Präsidentin aber den Medien vor, Angaben über Verluste der Regierungstruppen „grob übertrieben“ zu haben. Journalisten, denen der Zutritt zum Kriegsgebiet verwehrt ist, hatten von über 1.400 Toten allein auf Seiten der Armee berichtet. Laut Kumaratunga seien „nur“ 101 Solaten getötet und 743 verwundet worden, 122 würden vermisst. 4.000 Zivilisten seien auf der Flucht.

Die vor einer Woche begonnene Offensive der LTTE heißt „Unaufhaltsame Wellen“ und macht ihrem Namen alle Ehre. Die LTTE hat der Armee seitdem zehn Stützpunkte entrissen. Im Feuerschutz schwerer Artillerie drangen Guerillaverbände aus den Wäldern des Wanni-Dschungels im Nordosten gegen das Zentrum des Landes vor und eroberten in fünf Tagen die wichtigen Kreuzungen von Oddusuddan, Nedunkeni, Mankulam und Kanakarayankulam. Die Armee, deren Führung nach den ersten Niederlagen umstrukturiert worden war, versucht mit Nachschub den Vormarsch der LTTE zu stoppen, konnte ihn bisher aber wohl nur verlangsamen.

Das taktische Ziel der LTTE ist, eine Straßenverbindung zu erobern, welche die Längsachse des Landes bildet und den sinhalesischen Süden des Landes mit der Tamilen-Stadt Jaffna im Norden verbindet. Die Sicherung dieser Straße war das Ziel bisheriger Armeeoperationen gewesen. Die Jaffna-Halbinsel ist seit bald drei Jahren in den Händen der Armee, doch eine langfristige Sicherung dieses tamilischen Herzlands ist nur möglich, wenn die Straße in der Hand der Regierungstruppen ist. Der See- und Luftweg nach Jaffna ist kostspielig und gefährlich, da LTTE immer wieder Konvois angreift und wohl auch über Stinger-Raketen verfügt. Um nicht nur auf diese Straße angewiesen zu sein, begann die Armee im Juni auch entlang der Westküste einen Straßenkorridor in den Norden zu öffnen. Doch der Verlust der zentralen Verbindungsstrecke ist eine schwere Niederlage.

Die Regierung hatte die Verluste bisher wenig glaubwürdig nur als „taktischen Rückzug“ bezeichnet. Die Bemerkung des Militärsprechers in Colombo, die Lage sei „sehr ernst“, spricht eine deutliche Sprache. Die von den Guerillas angegriffenen Militärstützpunkte sollen zudem ohne große Gegenwehr aufgegeben worden sein. Unbestätigte Berichte reden von Meutereien, Plünderungen und einer ungeregelten Flucht der Regierungstruppen. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Kampfmoral der Armee gering ist, was sich auch an der hohen Zahl von Deserteuren ablesen lässt. Dass die LTTE ihre schwere Artillerie entlang der Hauptstraße verschieben kann, zeigt auch die Schwäche der Luftwaffe, die offiziell den Luftraum vollständig kontrolliert.

Die politische Wirkung dieses seit Jahren schwersten militärischen Rückschlags ist noch nicht abzuschätzen. In sechs Wochen finden Präsidentschaftswahlen statt. Kumaratunga dürfte es inzwischen bereuen, sie um beinahe ein Jahr vorgezogen zu haben. Die LTTE-Erfolge zeigen das Versagen von Kumaratungas Strategie, die Verhandlungen erst nach einem militärischen Sieg vorsah. Kumaratunga verdankte ihren Wahlsieg 1994 vor allem den Stimmen gemäßigter Tamilen. Die jetzige Demonstration der militärischen Kraft der LTTE ist auch eine Aufforderung an die Tamilen, die Wahlen zu boykottieren. Falls es dem farblosen Gegenkandidaten Ranil Wickremasinghe gelingt, auch noch die Verunsicherung der sinhalesischen Mehrheit auszunützen, wäre Kumaratungas zweite Amtszeit ernsthaft gefährdet. Bernard Imhasly