Wintereinbruch stoppt Offensive

■ Vormarsch auf Grosny zunächst unterbrochen. Premier Putin weist Kritik aus dem Westen an brutaler Kriegsführung zurück

Moskau (taz) – Schneefall und schlechte Sichtverhältnisse behindern seit gestern den Vormarsch der russischen Armee in Tschetschenien. Das entscheidende Etappenziel, die Hauptstadt Grosny noch vor Wintereinbruch durch einen Blockadering von der Außenwelt abzuschneiden, ist den Militärs nicht gelungen. Im Osten und Süden bleibt der Zugang in die von fast allen Zivilisten verlassene Stadt weiter offen.

Gerade die Verbindung in die südliche Bergregion dient den „terroristischen Banden“ als Schlupfloch und wichtigster Nachschub für Waffen. Die Witterungsverhältnisse nutzten tschetschenische Rebellen bereits, um den im Westen gelegenen Ort Bamut zu verlassen. Mehrere Wochen hatten Artillerie und Luftwaffe den Ort unter Beschuss gelegt. „Auf Befehl des Oberkommandos haben tschetschenische Einheiten Bamut verlassen“, sagte ein Feldkommandeur, der mit seiner Einheit gestern im Schutz der Nacht und bei Schneetreiben Richtung Grosny aufbrach. Nach Angaben russischer Militärs hat die Armee jedoch die zweitgrößte Stadt der Kaukasusrepublik, Gudermes, endgültig umzingelt.

Unterdessen berichtete die Zeitung Iswestija, Moskau habe versucht, von den Bergen Georgiens aus eine zweite Front gegen Grosny zu eröffnen. Der georgische Präsident Eduard Schewardnadse habe das Anliegen des GUS-Bündnispartners zurückgewiesen.

Russlands Premierminister Wladimir Putin wies unterdessen Kritik aus dem Westen an der brutalen Kriegsführung zurück: „Unsere Handlungen sind angesichts der Bedrohung Russlands völlig angemessen. Wir haben es mit gut organisierten Banden internationaler Terroristen zu tun, die gut ausgebildet sind und vom Ausland finanziert werden“. Laut Fernsehberichten seien in der Nähe von Gudermes gestern erstmals Freischärler der albanischen UÇK gesichtet worden.

Premier Putin reagierte mit seiner Replik auf die bisher deutlichste Warnung aus Washington. Am Montag hatte der Sprecher des US-Außenministeriums, James Rubin, Russland bezichtigt, gegen die Genfer Konvention und Vereinbarungen der OSZE zu verstoßen: „Russlands Verhalten in der laufenden Kampagne steht nicht im Einklang mit den eingegangenen Verpflichtungen.“

Offenkundig herrscht innerhalb der politischen Elite Russlands keine klare Linie vor, wie man im Kaukasus weiter verfahren will. Angeblich drängen Präsident Jelzin und seine Administration Putin, den Krieg zu beenden und mit dem tschetschenischen Präsidenten Maskhadow Verhandlungen aufzunehmen. „Der Präsident und der Kreml haben entschieden, Kriegshandlungen in Tschetschenien einzustellen“, schrieb die Komsomolskaja Prawda.

Wladimir Putin scheint indes wenig Gefallen an einem Friedensschluss zu finden. Zur unversöhnlichen Kriegspartei zählt selbstverständlich auch Russlands Generalität. General Wladimir Schamanow, Kommandeur der Truppen an der westkaukasischen Front, warnte, er würde aus dem Dienst scheiden, wenn der Kreml eine politische Lösung anstrebe. Generalstabschef und Falke Anatoli Kwaschin wies Gerüchte zurück, Armee und politische Führung hätten sich überworfen. Es gilt jedoch als sicher, dass Kwaschin den Kremlchef gewarnt haben soll, den Militärs bei ihrer ethnischen „Säuberungsaktion“ im Kaukasus nicht in die Quere zu kommen. Klaus-Helge Donath