Die Strafe wird abschreckend sein“

■ Michael Gabriel von der Koordinierungsstelle Fanprojekte der Deutschen Sportjugend

taz: Hat die Tat von Lens etwas bei den deutschen Hooligans verändert?

Michael Gabriel: Meines Erachtens gab es innerhalb der Hool-Szene ein Erschrecken. Allerdings ist im Laufe der Zeit etwas davon verloren gegangen. Da in der öffentlichen Wahrnehmung die Hooligans als sehr negativ dargestellt wurden, kam es zu einer Wagenburgmentalität der Szene. Es gibt aber keinen Hool der eine Verurteilung der Täter als negativ bezeichnen würde.

Wie hat sich das Verhalten der Hooliganszene gewandelt?

In der Vergangenheit betrieben die Hooligans eine Art Räuber-und-Gendarmen-Spiel mit der Polizei. Die Auseinandersetzungen fanden in der Nähe der Stadien statt, und die Polizei konnte schnell eingreifen. Heute ist alles gut geplant und vorbereitet. Die Treffen finden abseits der Blicke der Ordnungskräfte statt. Die Polizei kann daher nicht so schnell eingreifen. Folglich kann es zu extremeren Auseinandersetzungen kommen. Allerdings ist seit vier Jahren die Zahl der Auseinandersetzungen, der Teilnehmer und der Verletzten rückläufig. Ich plädiere daher für eine Entdramatisierung.

Werden die hohen Strafen abschreckend sein?

Die Strafe wird abschreckend sein. Es macht für die Wahrnehmung innerhalb der Hooliganszene keinen Unterschied, ob einer dreieinhalb oder zehn Jahre in den Knast kommt.

Wie schätzen Sie das Verfahren und dessen Verlauf ein?

Meines Erachtens ist das Verfahren – in einem aufgeregten Umfeld – fair über die Bühne gegangen.

Was ist für die EM 2000 in den Niederlanden und Belgien zu befürchten? Insider rechnen mit dem Schlimmsten.

Es wird sicher die Veranstaltung sein, die unter den stärksten Sicherheitsvorkehrungen stattfinden wird. Ich erinnere mich an die Diskussion im Vorfeld der Europameisterschaft in England. Die englischen Organisatoren haben sich mit einer sehr umfangreichen Vorarbeit den Bedürfnissen aller Fans angenommen. Es wird ausschließlich der Sicherheitsaspekt in den Vordergrund gestellt.

Welche Folgen kann das haben?

In einem Umfeld, in dem alle Fans undifferenziert als ein Sicherheitsrisiko behandelt werden, rücken die Fans enger zusammen. Da fühlen sich die Hooligans wohler.

Hat eine Fanbetreuung in Lens gefehlt?

Lens wäre auch passiert mit Fanbetreuung. Die Tat ist zu außergewöhnlich. Abgesehen von dem, was mit Daniel Nivel passiert ist, ist es in Lens, angesichts des Gewaltpotenzials vor Ort, relativ ruhig abgelaufen. Dies sagt auch der Leiter der Polizei in Lens.

Hat sich die Arbeit der Koordinierungsstelle der Fanprojekte durch die Hooligan-Attacke auf den Gendarmen erschwert?

Ja, vor allem durch die undifferenzierte Berichterstattung der Medien über Hooligans. Wir werden als deren Komparsen wahrgenommen. Dabei ist Fakt, dass die gewaltsamen Auseinandersetzungen zurückgegangen sind, seitdem wir unsere Arbeit aufgenommen haben.

Bei Ausschreitungen in Offenbach wurde ein deutscher Polizist angegriffen, und erst ein Warnschuss seines Kollegen rettete ihn. Ist die Polizei ein Gegner für die Hooligans geworden?

Schon 1992 wird die Polizei in der Literatur als „dritter Mob“ bezeichnet. Die Polizei war aber schon immer ein Gegner für die Hooligans. Dass sie allerdings angegriffen wird, ist eine neue Qualität. Interview: Martin Murphy