Menschen wie Monster

Kein Exempel wollte der Vorsitzende Richter Esders statuieren, sondern eine harte Strafe gegen die deutschen Hooligans von Lens verhängen  ■   Aus Essen Martin Murphy

Bei der Verkündung des Strafmaßes schauten die Angeklagten zu Boden. In dem Gesicht von Christopher Rauch (24) zeigte sich tiefe Enttäuschung – seine Verteidiger hatten auf Freispruch plädiert. Noch während der Untersuchungshaft hatte er seine Verlobte geheiratet. Sie brach in Tränen aus. Und auch unter den angereisten bulligen Kerlen machte sich Enttäuschung breit. Vor dem Gerichtssaal stellten sie noch Selbstvertrauen zur Schau. Als Richter Esders das Strafmaß verkündete, war davon nichts mehr zu spüren.

Für den aus dem thüringischen Meiningen stammenden Rauch ging das Verfahren mit dreieinhalb Jahren Freiheitsentzug relativ glimpflich aus. Der arbeitslose Elektriker wurde vor allem durch die Aussage eines Fotografen belastet, der der Hooligan-Szene nahe steht. Er sagte aus, dass Rauch mit einem Reklameschild viermal auf Daniel Nivel eingeschlagen habe. Das Gericht stufte den Zeugen allerdings aufgrund seiner widersprüchlichen Aussagen als unglaubwürdig ein. Eine Gewalteinwirkung von Rauch auf Nivel sei damit nicht einwandfrei nachzuweisen.

Der Hooligan hafte aber mit, da die Tat „gemeinschaftlich“ ausgeführt wurde. Ihm und seinen drei Mitverurteilten bescheinigte Richter Rudolf Esders „Lust an der Ausübung von Gewalt“. „Die Angeklagten sind keine Monster, sondern nur Menschen, die sich wie Monster verhalten haben“, sagte Esders in seiner knapp halbstündigen Urteilsbegründung. „Die Forderung nach einem Exempel ist zurückzuweisen.“ Die Haftstrafen für Frank Renger (31) und Tobias Reifschläger (25) entsprechen den Erwartungen.

Zum Prozessauftakt am 30. April hatten sich drei der vier Angeklagten als reuige Sünder präsentiert. André Zawacki (28) sagte damals stockend: „Ich möchte schon jetzt sagen, dass ich bedaure, was in Lens passiert ist, vor allem die Folgen für Herrn Nivel und seine Familie.“ Frank Renger und Tobias Reifschläger rangen sich ähnliche Entschuldigungen ab.

Nur Christopher Rauch blieb still. Mit pomadisiertem Mittelscheitel und Brille sitzt er inmitten seiner drei Anwälte. Später werden ihn mehrere szenekundige Polizisten als einen der Hooligan-Rädelsführer des einstigen DDR-Renommierclubs Dynamo Berlin bezeichen.

Die Anklage stützte sich im Wesentlichen auf Fotos und Zeugenaussagen. Mit dem Schlachtruf „Da stehen drei allein, die machen wir platt“ stürzten sich 30 bis 50 Hooligans auf drei französische Polizisten. Während zwei sich in Sicherheit bringen konnten, wurde Nivel zusammengeschlagen. Tobias Reifschläger und Frank Renger sollen ihn mit Füßen getreten haben. Christopher Rauch soll mit einem Reklameschild viermal zugeschlagen haben. „Flach, Kante, Kante, flach“, sagte ein Zeuge. Der Schalke-Fan André Zawacki rief dann: „Macht Platz, lasst mich mal!“ Mit einem Gewehraufsatz hat er mindestens dreimal auf den Kopf und Hals des bereits regungslosen Nivel eingeschlagen.

Ein Gerichtsmediziner sagte, dass Nivel am linken Hinterkopf einen tiefen Einschlag habe, der sich spinnenartig über den Schädel ausgebreitet habe. André Zawacki gestand einen Schlag „auf den Oberkörper oder den Oberarm“. Er stellte sich selbst der deutschen Polizei. Die Hooligan-Experten der Zentralen Informationsstelle Sport (ZIS) ordnen den Schalke-Fan der gewalttätigen Szene zu.

Daniel Nivel (44) war mit seiner Frau Lorette und seinem Sohn Vincent bei der Urteilsverkündung. Schweigend und regungslos saß er neben seinen beiden Anwälten. Von den äußeren Geschehnissen schien Nivel nicht viel zu verstehen, nur, dass es auch um ihn geht. Er selber kann sich an den Überfall in der Rue Romuald Pruvos nicht erinnern. Der Gendarm lag nach dem Überfall sechs Wochen im Koma und wird sich von den Folgen nie wieder erholen. Er leidet unter motorischen Störungen, ist auf einem Auge fast blind und wird sein ganzes Leben lang nicht mehr ohne Hilfe leben können.