Ihr seid Verräter!“

Unter wüsten Beschimpfungen räumt die israelische Armee eine Siedlung im Westjordanland  ■   Aus Chawat Maon Susanne Knaul

Mitten in der Nacht und bei dichtem Nebel zogen die Militärjeeps, die Busse und Abschleppwagen den steinigen Weg hoch zum illegalen Siedlerstützpunkt Chawat Maon, rund 20 Kilometer südlich von Hebron.

Dort in der kargen Wüstenlandschaft hatte sich eine Gruppe radikaler jüdischer Siedler mit Wohnmobilen und zwei Holzhäusern, von denen eins als Synagoge diente, eingerichtet. In den letzten Tagen vor der drohenden Räumung waren zusätzlich mehrere hundert Menschen gekommen und hatten aus Solidarität mit Chawat Maon ihre Zelte auf dem Hügel aufgeschlagen.

Als die Soldaten anrückten, war niemand überrascht. Wenige Stunden zuvor waren letzte Verhandlungen über einen eventuellen Aufschub gescheitert. Die Siedler hatten, ohne das Ergebnis der Gespräche mit dem Premierminister Ehud Barak abzuwarten, den Weg zum Hügel bereits mit Steinen und Stacheldraht blockiert. Trotz der frühen Stunde – die Räumung begann kurz vor vier Uhr morgens – musste niemand mehr geweckt werden.

„Macht es ihnen nicht zu leicht!“, ruft eine Frau, die sich, von Polizistinnen umringt, auf den nassen Boden setzt, ihren Freundinnen zu. „Fasst mich nicht an“, schreit sie. „Ihr werdet noch euren Kindern Rechenschaft abgeben müssen über das, was ihr hier tut!“

Die jungen Beamtinnen versuchen es mit gutem Zureden, mit sanftem Druck und fassen schließlich gemeinsam an, um die wild zappelnde Frau in den etwa zweihundert Meter entfernt parkenden Bus zu tragen. „Schämt euch!“ ruft sie, als die Sicherheitsbeamtinnen endlich von ihr ablassen. In einem unbeobachteten Moment steigt sie aus und geht zurück, um sich erneut auf den Boden zu setzen.

Das Katz- und Mausspiel dauert über vier Stunden. Eine Gruppe junger Männer springt, als der Bus, der die Siedler wegbringen soll, an einer Kreuzung hält, aus dem Fenster. Sie laufen im Schutz der Dämmerung zurück nach Chawat Maon. „Gott, lass das nicht zu!“, ruft ein anderer gen Himmel. Zusammen mit zwei Freunden kletterte er auf eins der Häuserdächer. Von dort oben zitieren sie Psalme. Einer von ihnen trägt das Gebetstuch auf dem Kopf, ein anderer bunte Hosen wie ein Hippie und einen Turban.

Ich soll im nächsten Jahr rekrutiert werden“, schimpft ein Junge, der von vier Soldaten weggetragen wird. „Wie soll ich in einer Armee Dienst tun, die Juden aus ihren Häusern vertreibt?“ Ein etwa 50 Jahre alter Mann liegt auf dem Boden und weint hemmungslos. „Ihr seid Verräter“, müssen sich die Soldaten beschimpfen lassen. Von „Deportation“ ist die Rede, vom „Heiligen Land“ und vom „Judenrat“. Für kurze Zeit herrscht Aufregung, weil jemand eine Gasflasche aufgedreht hat und droht, eins der Häuser anzuzünden, davon aber abgebracht werden kann.

Vor dem größeren der beiden Holzhäuser in Chawat Maon wird das Gepäck gesammelt. Rucksäcke, Kinderwagen, dazwischen kaputte Rattanmöbel und ein Fliegennetz. Ein paar Meter abseits durchwühlen streunende Hunde Mülltüten. Eine Gruppe junger Frauen und ihre Kinder wartet darauf, abgeführt zu werden.

Freiwillig will niemand das Feld räumen. Zwei kleine Gemüsebeete sind völlig plattgetreten. Bis zur Kürbisernte hätte es nicht mehr lange gedauert. „Die Geschichte des Volkes Israel hat bewiesen, dass sich Hartnäckigkeit durchsetzt“, sagt eine der Mütter und erzählt, dass sie selbst in Hebron aufgewachsen ist. Von der Vereinbarung will sie nichts hören. „Demokratie ist eine Übergangssache. Nur die Thora ist ewig.“

Für die Frauen ist klar, dass sie wiederkommen wollen, auch wenn ihnen dann erneut die Räumung droht.

„Wir gehen nicht freiwillig, Gott!“, schreit aus dem Fenster des Busses derselbe junge Mann, der schon zuvor den Dialog mit seinem Schöpfer auf dem Dach seines Wohnmobils gesucht hatte. Und: „Wir kommen wieder.“