Sennett an Tisch 18

Zischen Chaos und Motivationsspiel: Das „Such“-Büro „Lost & Found“ auf Kampnagel  ■ Von Niels Grevsen

Die „Geschäftsordnung“ für Lost & Found kommt recht philosophisch daher. Der amerikanische Soziologe Richard Sennett wird zitiert und Christoph Schlingensief: „Das Problem ist, dass der Rezipient im Kunstbetrieb arbeitslos geworden ist. (...) Wer nicht bereit ist, etwas zu finden, was er nicht sucht, ist erledigt.“ Um das Suchen „als zentraler Tätigkeit des Menschen“ dreht sich allles im theatralen Suchbüro von Michael Bandt und Matthias Hartz. Die Schauspieler (Stefan Düe, Melanie Kretschmann, Marc Letzig, Anna Schmutz-Lacroix) sind Servicekräfte, leiten an; die Zuschauer, treffender: Besucher, sind ihre eigenen Akteure, müssen suchen. Aber was?

Der Abend beginnt mit kurzen Einzel- und Zweier-Interviews: „Suchen Sie lieber oder finden Sie lieber? Welche Suche haben Sie als letztes bewußt aufgegeben?“ Banale und doch kluge Fragen zur Selbst-reflektion. Erst danach betreten wir das „Suchbüro“, keine Bühne, sondern eher ein modernes Großraumbüro (Raum: Tjorg Beer) mit blau-gelben Servicetheken, Chill-out-Zone, einem DJ/Organisten (Reverend Ch. D.) und vor allem acht verschieden dekorierten Tischen: mit Sand gefüllt, mit übergroßem Kreuzworträtsel bedruckt oder mit kleinen kleinen Krimskramskästen versehen. Das wichtigste an den Tischen: die Telefone – denn wer Hilfe beim Suchen braucht, ruft die Serviekräfte an oder jemanden an einem anderen Tisch.

Im Suchbüro ist alles Philosophieren vorbei, Spiel und Chaos dominieren dort. In Gruppen von fünf oder sechs aufgeteilt, müssen die Besucher Aufgaben erledigen, die immer irgendwas mit Suchen zu tun haben: Wir an Tisch 18 müssen nach einer Kennenlernphase („Ich heiße Niels ...“) Kreuzworträtsel lösen. Nicht gerade so atemberaubend. Andere müssen Sandburgen bauen, Motivationshilfe leisten, bestimmte Gegenstände suchen, nach einer Geschichte suchen oder das Treiben der anderen Tische per Videokamera untersuchen.

Das wirklich Spannende sind die Interaktionen zwischen den Tischen, durch Regeln klar bestimmt: „Wenn Sie etwas nicht gefunden haben, rufen Sie Tisch 19 an. Wenn Sie Ausrüstungsgegenstände bei Ihrer Suche brauchen, rufen Sie Tisch 17 an...“. Wir sind die Schlichter des Abends. (“Wenn Sie Meinungsverschiedenheit haben, rufen Sie bitte Tisch 18 an.“) Doch im Laufe des Abends fehlen trotzdem theatrale Eingriffe durch die Schauspieler, verbindende oder verstörende Einschübe. Zwar gibt es zwischendurch etwas Aufwärmgymnastik und immer wieder Kontrollanrufe, ansons-ten ist jede Gruppe sich selbst überlassen.

Zwischen Spiel und Chaos gerät die Suche nach dem Sinn des Abends in den Hintergrund. Ist ein Theaterabend sonst, so die Geschäftsordnung, die „Suche nach Bedeutung, nach dem Verstehen der Botschaften“, so ist Lost & Found eher ein gruppendynamischer Prozess, doch der Grad zwischen diesem „Suchprojekt“ und einem Spieleabend ist schmal. So ist Lost & Found vor allem ein Abend für Leute, die abgedrehte Gesellschaftsspiele und Schnitzeljagden mögen. Was der Abend mit Sennett zu tun hat, blieb unklar, Schlingensief hingegen war bisweilen nicht weit. Das Resümee des Abends fasst der Kanon zusammen, der zur Einstimmung gesungen wurde: „Ja, wir suchen. Das macht Spass. Auch wenn wir nichts finden. Bleibt der Spass.“