Die Welt im extremen Temporausch

■ Die Projektgruppe Neue Musik sammelt bis Sonntag Raumerfahrungen in zeitgenössischer Musik

Es hat ungefähr eine Minute gedauert, ein digitales Abbild dieser Zeitungsseite von unserem Bremer Redaktionssystem an die Druckerei bei Hamburg zu schicken. Noch vor wenigen Jahren hat ein reisender Bote diese Rolle gespielt und Texte und Fotos persönlich übermittelt. Nicht erst seit gestern berichten die KorrespondentInnen via Satellit live aus aller Welt, und im Datensalat der globalen Kommunikationsnetze verbirgt sich so manche transkontinentale Flirtbotschaft.

„Die Welt“, so beschreiben PolitikerInnen das Phänomen in charmanter Vereinfachung, „ist kleiner geworden.“ Geographische Distanzen werden scheinbar immer weiter aufgehoben. „Der Raum“, so reden andere weniger vereinfachend, „wird von der Zeit regelrecht verschlungen'.“ Zu diesen anderen gehören in Bremen die Leute von der Projektgruppe Neue Musik. Seit einem Jahrzehnt sammeln sie für ihre jährlichen Tagungen kluge Gedanken über die Veränderungen in der Welt und darüber, was das alles mit Kunst – hier Musik und insbesondere dem Komponieren – zu tun hat. Und bevor auch Bremen endgültig von der Zeit (oder einer neuen politischen Flurbereinigung) verschlungen wird, machen sie noch schnell eine Tagung zum Thema: „Transit, Orte/NichtOrte – Raumerfahrungen in zeitgenössischer Musik“ ist das am Wochenende stattfindende Programm mit Vorträgen, Diskussionen und Konzerten überschrieben.

Das Konzept der Projektgruppe ist so ungewöhnlich wie konsequent. Sie klopft die Neue Musik auf das ab, worüber GeisteswissenschaftlerInnen wie Paul Virilio, Jean-François Lyotard, Marc Augé oder Michel Foucault seit Jahren reden (oder geredet haben). Die Beschleunigung der Informationsverbreitung, die immer raumgreifendere Präsenz gemachter Bilder und virtueller Räume sind die Stichworte für ein neues Raumgefühl. Ob und wie es sich in der kompositorischen Praxis widerspiegelt, soll bei der Tagung beantwortet werden.

Die dreitägige, leider noch immer eher von Fachpublikum besuchte Veranstaltung ist nicht nur ein intellektuelles Abenteuer. Vor allem die Konzerte sind für jede Menge Überraschungen gut. Kurzum: Es darf bisweilen auch gelacht werden. ck

„Transit, Orte/NichtOrte“ vom 12. bis zum 14. November. Eröffnungskonzert heute um 20 Uhr (Einlass bis 19.50 Uhr) im Radio-Bremen-Sendesaal. Dieses Konzert wird live auf Radio Bremen 2 übertragen. Einführungsvorträge am Samstag, 13. November, ab 11 Uhr in der Galerie Rabus, Plantage 13. Auf dem Programm stehen Werke von Luigi Nono, Christoph Ogiermann, Uwe Rasch, Bernardo Kuczer, Samuel Beckett und vielen anderen. Die einzelnen Termine entnehmen Sie bitte unserem Veranstaltungskalender.