Bildungsterroristische Vereinigung

■ Die Realo-Jusos, die Bücherhallen, die Comics und die Zahlen

Auf sie mit Gebrüll. Unter diesem Motto schossen Teile der SPD-Nachwuchsorganisation vor und griffen in die Spardebatte um Hamburgs öffentliche Bibliotheken ein. Wie gestern im Abendblatt und in der Bild-Zeitung zu lesen war, möchte die Gruppe der „Realo-Jusos innerhalb der SPD“ 27 Bücherhallen-Standorte schließen. So könne Hamburg 16 Millionen Mark jährlich sparen.

Ob sich die Realo-Jusos als bildungsterroristische Vereinigung einen Namen machen wollen? Ihre Argumente zeigen allerdings, daß so ein bißchen Bildung doch nicht falsch wäre. Die Zahlen, mit denen sie ihren Kahlschlag untermauern, stimmen hinten und vorne nicht.

So argumentieren sie, die Bücherhallen hätten mit nur fünf Prozent der Einwohner den geringsten Zulauf aller Bundesländer. Wie sie bei 260.000 eingetragenen Benutzern und rund 1,8 Millionen Hamburgern auf diese Zahl kommen, bleibt ihr Geheimnis; wir kommen auf 14 Prozent. Darüber hinaus wird verbreitet, Hamburg gebe mit 34,50 Mark pro Jahr und Einwohner mehr Geld für die Bücherhallen aus als alle anderen Bundesländer. Tatsächlich gibt Hamburg 34,50 Mark aus, nur leider für alle öffentlich unterstützten Bibliotheken zusammengenommen. Darin sind die Institutionen etwa der Kirchen enthalten. Der Satz für die Bücherhallen selbst liegt weit darunter.

Außerdem meinen die Realo-Jusos, daß die meistausgeliehenen Medien in den Bücherhallen Comics seien. Also, so ihre Pointe, schade auch eine Schließung bildungspolitisch nicht. Dieses Argument ist ein schönes Beispiel für die Reichweite heutigen Infotainments; die Info-Elite der zukünftigen SPD-Bildungspolitik hat es nämlich offensichtlich einer Grafik der Programmzeitschrift TV Today entnommen. In Wirklichkeit aber haben die Comics bei den Bücherhallen eine Ausleihquote von gerade mal zwei Prozent.

Bleiben zwei Fragen. Macht die SPD demnächst Bildungspolitik mit Programmzeitschriften? Und, liebe Realo-Jusos, Hand aufs Herz: Schon mal ein Buch in die Hand genommen? Dirk Knipphals