Mit dem Schicksal arrangiert

■ Steht Richard Golz heute abend auf der falschen Seite? Ein Portrait des politisch korrekten Torhüters vom Hamburger SV

„Richard Golz, du bist süß.“ So steht's an der Wand zur Umkleidekabine des HSV-Leistungszentrums in Ochsenzoll. Heute abend sind eher die fachlichen denn die optischen Qualitäten des Keepers, der auf jedem Foto anders aussieht, gefragt. Wenn Juri Sawitschew oder Jens Scharping gen Tor streben, wartet jemand auf sie, dessen fußballerische Vita im Zeichen des Widerspruchs steht.

Richard Golz im HSV-Tor – das ist für einige, trotz mittlerweile zehn Jahren Vereinszugehörigkeit, immer noch irritierend. Denn eigentlich spielt der 1,99 Meter lange Keeper im falschen Verein, gehört er doch zu denjenigen Profikickern, die ihren Kopf nicht allein dem runden Leder widmen – eine Eigenschaft, die idealtypisch gerne dem Lokalrivalen aus St. Pauli zugeschrieben wird.

Als der Block E in der Westkurve des Volksparkstadions noch als führender Treffpunkt besonders Doitscher in Hool-Magazinen lobend erwähnt wurde, mobilisierte Golz gegen das rassistische Gegrunze im eigenen Stadion. Ein kluger Beitrag in dem Sammelband „Fußball und Rassismus“ (Verlag Die Werkstatt) stammt ebenfalls aus seiner Feder. Bevor das exaltierte SAT 1-Kultobjekt Klaus Thomforde („Geil!“) zu everybody's darling wurde, hätte manch ein politisch korrekter Paulianer Golz wohl nicht ungern im braun-weißen Jersey auflaufen sehen.

Daß der 27jährige immer noch für den HSV im Kasten steht, ist so selbstverständlich nicht. Seinen ersten Durchbruch schaffte Golz 1988, als Nachfolger von Jupp Koitka. Nach einigen Patzern zunächst als „Fliegenfänger“ verschrien, bewahrte er den hindümpelnden HSV mit seinen Paraden bald vor größeren Malaisen.

Sechs Jahre lang blieb er Stammtorwart, doch im Sommer 1994 entdeckte der noch nicht beseelerte HSV zum ersten Mal die Symbolik und setzte ihm Uli Stein, Sinnbild der glory days, vor die Nase – mit der Empfehlung, vom Oldie zu „lernen“. Nach 190 Bundesliga-Spielen war es für Golz „nicht leicht, sich an die Bank zu gewöhnen“. „Mitleid“, sagte Golz damals, wolle er nicht, aber daß er an diesem Beispiel feiner hanseatischer Art einiges zu knabbern hatte, war ihm anzumerken.

Als der geplante Transfer zu seinem zweitliebsten Verein, dem MSV Duisburg, platzte – sein inzwischen entlassener Trainer Benno Möhlmann mochte Golz („Ich bin kein Pausenclown“) nicht aus dem bis 1997 laufenden Vertrag entlassen – fand Golz sich damit ab, legte im Training Sonderschichten ein – und rückte wieder auf, als bei Stein das Alter seinen Verletzungs-Tribut forderte. Daß den HSV die Abstiegssorgen nicht allzu sehr plagten, war hauptsächlich ihm zu verdanken.

In der laufenden Saison ging's anfangs so weiter. Die Mannschaft verdaddelte, aber Golz rettete den einen oder anderen Punkt. Das blieb nicht ohne Resonanz, erst recht nicht, da sich die Kollegen behutsam seinem Niveau annähern. Das Hamburger Abendblatt empfahl „König Richard“ kürzlich als „Mann für Berti Vogts“. In der Hackordnung rangiert Golz neben Kapitän Jörg Albertz nun ganz oben.

Die Querelen mit Stein hat er inzwischen verdrängt. Gelernt, so Golz, habe er vom Älteren jedenfalls nichts: „Ich führe meine Form nur auf mich zurück.“ Wandelt der süße, kritische, humorvolle Keeper diesmal auf geradlinigen Erfolgspfaden? Vielleicht spielt Golz ja doch nicht beim falschen Verein. Jemand, der auf die Frage, was er nach seiner Laufbahn machen werde, „Sterben“ (HSV aktuell 8/94) antwortet, dürfte auf jeden Fall gelernt haben, sich mit dem Schicksal zu arrangieren. Michael Untiedt