Ein Gesamtkunstwerk und billige Klischees

■ Christian Hinzpeter, Geschäftsführer des FC St. Pauli, über das Duell mit dem HSV und den Kampf ums Image

Vermutlich ist es für den FC St. Pauli das schwerste Auswärtsspiel der gesamten Saison. Heute um 20 Uhr muß der Bundesliga-Aufsteiger beim HSV antreten – zum 122. Hamburger Derby. „Wir haben gute Chancen“, sagt St. Paulis Vizepräsident und Geschäftsführer Christian Hinzpeter, „auswärts haben wir bislang unsere besten Spiele gemacht.“ Doch es ist weniger das sportliche Abschneiden seiner Mannschaft, was den gelernten Juristen sorgt: „Hoffentlich gibt es keine Randale.“ Die taz sprach mit Hinzpeter über das – aus Hamburger Sicht – Spiel des Jahres und die Probleme des FC St. Pauli mit dem eigenen Image.

taz: Welche Erinnerungen haben Sie an Spiele zwischen dem HSV und St. Pauli?

Christian Hinzpeter: Ich habe dort Sachen gesehen, die ich nie wieder erleben möchte. Das war teilweise eine echte Katastrophe. Gottlob ist das lange her.

Warum sollte es diesmal friedlich abgehen?

Weil sich einiges geändert hat. Das Fanprojekt ist beim HSV inzwischen akzeptiert. Die Vertreter der Fangruppen treffen sich und sprechen miteinander. Das jetzige HSV-Präsidium geht anders an die Sache ran. Unter Uwe Seeler klappt die Zusammenarbeit besser.

Sie scheinen sich gut mit ihm zu verstehen. Auf den Fotos vom Treffen der Präsidien sieht man lauter strahlende Gesichter.

Einige Leute sehen das als Gleichmacherei oder Schmusekurs. Das ist Quatsch. Ich will, daß die Vereine gegeneinander spielen können, ohne daß sich die Fans die Schädel einschlagen. Die sollen sich ruhig zoffen, aber friedlich. Jeder will seine Mannschaft gewinnen sehen, aber genauso wichtig ist, daß es gewaltfrei abgeht. Der furchtbare Haß muß raus. Daß die Fans Arm in Arm ins Stadion gehen, ist aber unrealistisch.

Können die auch gar nicht, sie kommen ja auf getrennten Wegen zum Spiel – unter Polizeischutz.

Das ist auch gut so. Wir wollen, daß jeder, der friedlich zum Spiel will, das auch kann. Hundertprozentige Sicherheit gibt es aber nicht. Die Gewaltbereiten werden wir nicht los. Wir können die Stadt ja nicht in zwei Hälften teilen. Ich überschätze die gemeinsamen Aktionen nicht, aber wenn wir nichts gemacht hätten, würde es mit Sicherheit schlechter laufen.

Viele Fans sprechen von einem Kampf zwischen Links und Rechts, ähnlich wie vor dem Spiel in Rostock. Gibt es Parallelen?

Das sind Klischees, zum Teil von den Medien aufgebauscht. Diese Polarisierung ist mir zu einfach. Es gibt beim HSV und auch bei uns solche und solche.

Aber die Gegensätze sind doch da. Der eine Verein für Hamburg, der andere für einen Stadtteil.

Wir wollen auch der liebenswert-schräge Stadtteilclub bleiben.

Wie verträgt sich das mit der Entwicklung, daß im Fußball das Geld immer wichtiger wird?

Das ist die entscheidende Frage, die ich mir jeden Tag aufs Neue stelle. Schlimmer noch: Ich muß sie auch jeden Tag beantworten. Wir müssen professionell arbeiten, auf saubere Kontakte zum DFB achten. Andererseits dürfen wir uns nicht zu stark verändern. Das ist der Spagat, den wir machen müssen.

Der ist sehr schwierig. Nach dem geschäftsbeseelten Budenzauber gegen die Bayern (ein Sponsor verteilte massenhaft Zahnpastatuben; die Red.) drohten etliche Fans mit Liebesentzug, weil sie sich als billiges Anhängsel fühlten.

Natürlich gibt es Fehlentwicklungen, über die man diskutieren muß. Das ist eine ständige Grundsatzdebatte zwischen Fans, Präsidium und der Marketing GmbH: Was machen wir mit, wo sagen wir, das ist nicht unsere Ware, wir bieten was anderes an.

Was würden Sie nicht verkaufen?

Als ich vor zehn Jahren zu Oberligazeiten in der Gegengerade mein Bier getrunken habe, hat sich das Publikum sehr gewundert, wenn die Bild-„Zeitung“ die Halbzeit-Ergebnisse durchgesagt hat. Heute schießen wir 200 Bälle von derselben Zeitung ins Publikum. Offensichtlich ist so etwas mittlerweile erträglicher. Das Gesamtkunstwerk St. Pauli wird dadurch nicht berührt. In den letzten Jahren hat sich die Gesellschaft entwickelt, die Fans, der Verein und ich.

Ist die Zeit jugendlichen Revoluzzertums am Millerntor vorbei?

Ich halte die Grundfesten der Gesellschaft derzeit nicht für revolutionsfruchtbaren Boden. Vor 10 oder 20 Jahren hatten wir noch Träume. Aber was ist 1995? Man hat gelernt, sich mit dem Phänomen Kohl abzufinden. Es fehlen erarbeitete Alternativen. Ich habe aber schon damals nichts davon gehalten, daß wir der linke Fußballverein sind, ein Gegenmodell zur kapitalistisch strukturierten Bundesliga.

Heute reden Sie gerne vom Jung-unternehmen FC St. Pauli.

Profifußball ist das Kapitalistischste, was man sich vorstellen kann. Kapitalismus unter dem Deckmantel Spaß. Man muß sich mit dem System abfinden, wenn man in der ersten Liga spielen will, und sich trotzdem den Luxus leisten, ab und zu selbstbewußt gegen den Strom zu schwimmen. Wir stehen in einem extremen Wettbewerb und müssen konkurrenzfähig bleiben. Unsere teilweise chaotischen Zustände zu erhalten, würde den sicheren Untergang bedeuten. Es ist nicht liebenswürdig, 15 Millionen Mark Schulden zu haben.

Aber Sie kokettieren mit dem Image des schrägen Stadtteilklubs.

Der FC St. Pauli wurde 1910 nicht gegründet, um Deutscher Meister zu werden. Der Klub ist von seiner Struktur her anders. Wir sind ein Stadtteilklub, der die Bedürfnisse der Menschen ernst nimmt. Das muß so bleiben. Aber wir müssen wirtschaftlicher denken als in der Vergangenheit und Zugeständnisse an unsere Geldgeber machen.

SAT 1 zahlt pro Saison fünf Millionen Mark TV-Gelder an die Vereine. Dafür haben die Moderatoren die Berechtigung, immer wieder dieselben Klischees zu besingen.

Man kann darüber streiten, wie Fußball präsentiert werden soll. Ich finde es jetzt besser als früher. SAT 1 liefert dem Publikum Fußball, wie es ihn gewohnt ist: boulevardmäßig. Den Quatsch vom Freudenhaus der Liga kann ich schon lange nicht mehr hören. Ich lasse bestimmte Klischees nicht mehr zu, von wegen: Seht her, hier ist alles ganz locker, vollkommen anders. Solche Dinge muß ich versuchen, im Interesse der Sache zu stoppen, weil die Leute wissen sollen, daß hier auf allen Ebenen für den „Spaß Fußball“ hart gearbeitet wird.

St. Pauli wirkt dennoch wie ein ausgehöhlter Markenartikel.

Das ist sehr negativ formuliert. Wir haben eine Kultur in der Gegengerade, die ich für besser und authentischer halte als in anderen Stadien. Wir suchen uns auch keine Marktnische. Der FC St. Pauli ist der Verein im ärmsten Hamburger Stadtteil, dem tragen wir Rechnung. Viele unserer Fans leben unter hoffnungslosen Bedingungen. Wir haben ein Drogenproblem direkt vor der Haustür, in unseren Jugendmannschaften spielen 60 Prozent Ausländer. Unser Platzangebot ist eine Katastrophe. Aber das will niemand wissen. Wenn ich mich irgendwann nur noch als verflachender Darsteller empfinde, von etwas, das sich nicht mehr wirklich abspielt, dann gebe ich auf.

Fragen: R. Schäfer, E. Caner und C. Gerlach / Fotos: J. Liebsch