Mit dem kleinen Hackebeilchen

■ Romuald Karmakar inszeniert Den Totmacher als reinen Tor

Was erwartet man von einem Mann, der mindestens 24 junge Männer getötet hat – den meisten hat er im Geschlechtsrausch die Halsschlagader durchgebissen –, der die Leichen dann in seiner Wohnung zerstückelt hat, die Gedärme im Klo runterspülte und den Rest mit Eimern durch die Straßen trug, um ihn in den Fluß zu werfen? In den 20er Jahren hat Fritz Haarmann selbiges getan. Natürlich erschaudert man vor so einem Menschen.

Und genau mit dieser Reaktion spielen auch die allermeisten der Massenmörder-Filme, die gegenwärtig Konjunktur haben. Entweder wird der Serienmörder als psychopathisches Monster dargestellt, das vernichtet werden muß. Oder aber der Zuschauer wird in eine Identifikationsrolle mit dem Killer gebracht und kann sich dann über seinen eigenen Spaß beim Zusehen beim Töten gruseln. Wobei allerdings letzteres nur funktioniert, wenn die Leichenbeseitigung nicht Thema des Filmes ist.

Romuald Karmakar, ein junger deutscher Filmemacher, der bereits vorher durch einige interessante, strikt gedachte Ansätze auffiel (Warheads), hat etwas anderes getan. Er hat sich die psychiatrischen Protokolle, die über den berühmtesten deutschen Serienmörder aller Zeiten, Fritz Haarmann, angefertigt wurden, angesehen und auf der Basis dieses authentischen Materials zusammen mit Michael Farin ein Drehbuch geschrieben, das er in der Art eines Kammerspiels verfilmte: wenige Schauspieler, begrenzte Mittel, nur ein Handlungsort (Farin seinerseits hat das Material zusammen mit Christine Pozsár bei Rowohlt als umfangreiches Sachbuch herausgegeben). Der so entstandene Film Der Totmacher könnte die Überraschung des Kinowinters werden. Er startet heute keineswegs an den für deutsche Kammerspiele vorgesehenen Plätzen, den Spätprogrammen der Programmkinos, sondern in den großen Häusern.

Zu Recht. Nichts leichter, als diesen Film zu loben. Er ist genau recherchiert, ebenso genau inszeniert und perfekt besetzt – Götz George hat für seinen Haarmann dieses Jahr den Darstellerpreis in Venedig bekommen, Jürgen Hentsch als untersuchender Psychologe steht ihm nicht nach, und Pierre Franckh als stummer Protokollant der Untersuchung, die die Zurechnungsfähig-keit Haarmanns ergründen sollte, hätte alle Preise der Welt für die beste Nebenrolle verdient.

Vor allem aber hat Romuald Karmakar in den Protokollen eine Geschichte entdeckt, die einen gerade aufgrund ihrer Banalität die Haare zu Berge stehen läßt. Daß Haarmann nicht das menschenfressendeMonster gewesen sein kann, als das er in die Geschichte einging (etwa in den Kinderversen: „Warte, warte nur ein Weilchen / bald kommt Haarmann auch zu dir / mit dem kleinen Hackebeilchen / macht er Hackfleisch aus dir“), hatte man sich noch denken können. Daß er aber so ein tumber, naiver, fast ist man versucht zu sagen: reiner und unschuldiger Tor gewesen sein muß, das überrascht dann schon. Wobei Karmakar nicht Partei ergreift. Was er stets mitinszeniert, das ist die Verwunderung über diesen Fall. Tobias Meiner