Zampano

■ In Bildern baden: Emir Kusturicas Jugoslawien-Epos Underground

In diesem Keller ist die Welt so prall, wie sie anderswo leider nur selten gerät: Blaskapellen schmettern Zigeunermusik, Bräute schweben vom Himmel, und Schwiegerväter taumeln trunken in alle Arme. Über diesen Keller und in Underground hat Emir Kusturica, der Filmen gerne mit der Leitung eines großen Zirkus vergleicht, sich nicht weniger vorgenommen, als ein Geschichts-Panoptikum Jugoslawiens zu entwerfen. Der erste Teil – des als Triptychon konzipierten Epos, das 1941, 1961 und 1991 neu ansetzt – beginnt auch folgerichtig im Zirkus und macht gleichzeitig die Geschichtsauffassung Kusturicas deutlich. Denn auch die Historie gerät ihm zunächst als Zirkus.

Bei der Bomardierung Belgrads fallen die Bomben auf die Käfige und Volieren und lassen Tiger und Gänse gemeinsam bluten. Als der Spuk vorbei ist, streunt der stotternde Zirkuswärter Ivan mit dem Schimpansen-Baby Soni im Arm durch die Stadt, während ein Elefant Schuhe vom Fensterbrett angelt und dralle Nutten nackend durch die Straßen watscheln. Natürlich gemahnen diese sinnlichen Bilderwelten an Fellini. Natürlich ist es die Melancholie, die Sinnlichkeit und die Alltäglichkeit der kleinen Leute aus Roma. Und auch bei Fellini gab es Schlawiner wie Marko und Blacky, die sich mit Schlitzohrigkeit und Raffinesse durch die Kriegswirren bringen.

Der gewiefte Marko (Miki Manojlovic) und der rauhbeinige Blacky (Lazar Ristovski) sind die besten Freunde und operieren als Teil der Guerilla aus einem Luftschutzkeller, womit Kusturica die Metapher des Untergrunds anzapft, in dem Redlichkeit und politische Integrität hausen. Im Keller, auf den Holztreppen rutschend, bringt Blackies Ehefrau Vera im Licht einer Fahrradlampe ihren gemeinsamen Sohn Jovan zur Welt. So wächst unter der Erdoberfläche eine kleine Stadt heran mit Badewannen und Bälgern, die wie Jovan nie das Tageslicht erblickt haben. Denn auch als der Krieg längst vorbei ist, hält Marko, inzwischen Parteifunktionär von Titos Gnaden, seine Leute im Untergrund und im Glauben, es gelte weiterhin, Knarren gegen die Nazi-Besatzer zu fertigen. Derweil lebt er mit der sinnenfrohen Natalija (Mirijana Jokovic) im Haus darüber und hält die Phantasmagorie mit fingierten Radiosendungen aufrecht.

Als alles nach Jahren auffliegt, leiden die Kellerbewohner in der rüden Außenwelt unter groteskem Realitätsverlust. Blacky gerät mit seinem Sohn Jovan in eine Filmproduktion hinein, die seine eigenen Heldentaten nachstellt. Durch diese Dopplung gerät ihnen die Welt endgültig aus den Fugen. Jovan landet in einer Berliner Psychiatrie und Vater Blacky landet als Anführer irgendwelcher Freischärler mitten im Bosnien-Krieg.

Und spätestens hier ist Schluß mit lustig. Während im 2. Weltkrieg die Menschlichkeit nur überwintert, werden in Bosnien Rollstuhlfahrer angezündet. „Krieg ist, wenn sich Brüder gegenseitig töten“, sagt Blacky auch und faßt die Geschichtsrelativierung von Underground in Worte. Überwiegend aus Frankreich, wo er als verkappter serbischer Nationalist geführt wurde, brachte das Kusturica auch harsche Kritik ein. Doch Kusturica als Waffenbruder von Karadzic zu bezeichnen, geht wohl doch ins Leere. Denn er ist vielmehr ein hoffnungsloser Nostalgiker, der sich nach seiner Kindheit im multi-ethnischen Sarajevo unter Tito zurücksehnt, das nie mehr so sein wird, wie es einmal war.

Volker Marquardt