Einer, der Träume plant

Leichtbauwände und Wohnküchen: Der Architekt Joachim Reinig arbeitet mit der Gruppendynamik von Wohngruppenprojekten  ■ Von Gernot Knödler

Bei der Arbeit mit Wohnprojekten lernt der Architekt was fürs Leben. Um die Zimmer des „Drachenbaus“ in St. Georg zu trennen, schlug Joachim Reinig zum Beispiel Leichtbauwände vor. Wie er erzählt, gab es eine Riesen-Diskussion, weil eine Mitbewohnerin behauptete, die Wände seien nicht schalldicht. Zwar wiesen die Normtabellen des Architekten Eins-A-Schallschutzwerte für diesen Wandtyp nach, trotzdem konnte sich Reinig mit seinen fachlichen Argumenten nicht durchsetzen: Die Wand wurde doppelt beplankt.

„Hier wurde versucht, auf der technischen Ebene einen Konflikt zu lösen, der woanders liegt“, analysiert Reinig heute. Die Mitbewohnerin wollte mehr Privatheit in dem Wohnprojekt und artikulierte dieses Bedürfnis auf dem Umweg einer technischen Debatte. Um so etwas zu vermeiden, versucht Reinig zusammen mit den Wohngruppen vor Planungsbeginn herauszubekommen, was ihre einzelnen Mitglieder eigentlich wollen.

Der Architekt lässt eine Ziehharmonika aus aneinandergeklebten Din-A4-Bögen von der Pinnwand seines Büros baumeln: Das Ergebnis der Zukunftswerkstatt, die er mit den Leuten des Projekts „Parkhaus am Pinnasberg“ veranstaltet hat. Die künftigen BewohnerInnen begannen damit, Bilder davon zu malen, wie sie einmal wohnen wollen. Ein Bogen etwa zeigt ein Haus in Schiffsform mit blumenbewachsenem Ankertau und dem Motto „Gemeinsam in einem Boot durch dick und dünn“. Mit so einer Zeichnung kommen viele ihren Wünschen näher als mit Worten.

Alle Bilder kamen an eine Pinnwand, und die Leute von der Wohngruppe konnten Punkte verteilen, so dass klar wurde, welche Wünsche die meisten gemeinsam hatten. In dieser Richtung planten sie weiter. Das aktuelle Modell aus Styropor mit aufgeklebter Papierfassade steht ebenfalls in Reinigs Büro. Hoch über der Elbe wird es einmal den Kontrapunkt zu dem neuen Gebäude bilden, das den Pinnasberg-Park auf der östlichen Seite einfasst.

Reinig hat auch als Mitbewohner einen langen Weg durch Wohngemeinschaften und Wohnprojekte hinter sich. Er weiß, dass er als Architekt fürs ganz normale Leben planen muss: „Wohnen ist nicht nur wohnen“, sagt er. Die Leute brauchen einen Platz für ihren Computer, damit sie auch von zu Hause aus jobben können. Der Hausflur muss breit genug sein, damit eine Lebensmittel-Koop dort ihre Gemüse-Kisten abstellen kann. Fahrräder darf man nicht erst über zahllose Stufen und um tausend Ecken tragen müssen. Zumindest die Option für einen Aufzug sollte eingeplant werden; rollstuhl- und altengerecht sollten alle Wohnungen erreicht werden können, ohne dass die Bewohnerin über eine einzige Schwelle oder Stufe steigen muss.

Was es für solche Details brauche, sagt Reinig, sei schlicht mehr Engagement als bei einem normalen Bauvorhaben. Darüber hinaus muss der Architekt bereit sein, Kompromisse einzugehen, auch wider besseres Wissen: Wenn die künftigen BewohnerInnen das wollten, würde Reinig wohl eine Mini- statt einer Wohnküche planen. Allerdings würde er sie nur mit einer Leichtbauwand vom Nachbarzimmer trennen, so dass es sich die nächste BewohnerInnen-Generation anders überlegen kann.

Gleichwohl hat der Architekt eine besondere Verantwortung dafür, wie das Haus aussehen wird und dass es auch bezahlbar ist. „Der Architekt kennt die Architekturgeschichte“, sagt Reinig. Seine Aufgabe sei es deshalb, den Blick der Gruppe für die Ästhetik ihres Hauses zu schärfen. „Es soll nicht beliebig aussehen“, sagte der Architekt. Und er muss es ja schließlich den Nachbarn und der Öffentlichkeit gegenüber verteidigen.