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■ Scherzbolde, TV-Büstenhalter und die Propaganda durch den Musiksender MTV: Die Bremer Kunsthalle zeigt mindestens zwei Gesichter des Vaters allen Flimmerns und Video-Kunst-Meisters Nam June Paik

Auch Pioniere reden vom Wetter. „Wie ist es denn bei Euch?“ fragt der live aus New York nach Bremen zugeschaltete Vater der Videokunst, Nam June Paik, seinen deutschen Freund, den Kunsthallenchef Wulf Herzogenrath. „Zu warm, sag Deiner Frau, dass sie nicht so viel dicke Kleidung einpackt.“

Nam June Paik ist leider krank. Deshalb kann der Erfinder von TV-Büstenhaltern und Video-Buddhas nicht kommen. Das ist schade, denn vor der ganz großen Retrospektive im Februar 2000 im New Yorker Guggenheim-Museum widmet ihm die Bremer Kunsthalle eine mittelgroße Retrospektive mit Schwerpunkt auf Paiks Tätigkeit in oder für Deutschland. Und es ist doppelt schade, weil der 1932 in Seoul geborene Künstler ein Spaßvogel ist.

Ob er denn fernsehe, will eine Reporterin wissen? „Nur Nachrichten.“ Ob er auch mal MTV sähe, in den Clips würde seine Kunst ganz oft zitiert? „MTV ist gute Propaganda für mich.“ Einen ham' wir noch: Was Paik mit einer Million Dollar machen würde? „Im Casino einsetzen.“ Um es zu verlieren? „Nein, um es zu verdoppeln.“ Ha ha.

Der Mann, der sichtlich lädiert über das Wunder der Geldvermehrung spricht, hat seinen kindlichen Schalk behalten. Es ist der selbe kindliche Schalk, mit dem Paik die Zeichnung einer Tänzerin am Hintern mit der Sprechblase „I am Fluxus“ versehen hatte. O dear, Paik ist fast so alt wie meine Eltern. Doch die haben zu Fasching höchstens bunte Pagenhüte aufgesetzt und keine Ballerinen „I am Fluxus“ furzen lassen. Dabei waren die Väter und Mütter dieser Väter und Mütter Fluxus-KünstlerInnen noch älter: Sie machten damals Dada.

Im Vergleich zu den „Erfolgs-Ausstellungen“ von Liebermann bis von Uhde ist die Kunsthalle fluxistisch, also beinahe dadaistisch hergerichtet. Statt Pastellschmuck an den Wänden haben die AusstellungsmacherInnen um Wulf Herzogenrath und Sabine Maria Schmidt den linken Gebäudeteil mit allerlei Nischen, Eckchen und sogar einer Höhle hergerichtet.

Noch in monumentaler Schlichtheit kriecht einem in der neuen Eingangshalle Paiks Schildkröte entgegen. Dieses Monstrum aus 166 TV-Monitoren in Form des laut asiatischer Legende 10.000 Jahre alten Reptils ist eine dieser Arbeiten, mit der Paik die Flüchtigkeit und Beschränktheit der Fernsehbilder mit Natur und Naturmystik konfrontiert. Diese Werke sind leicht verstehbar und in gewissem Sinne auch beliebt. Was wohl auch dazu geführt hat, dass Alfred Biolek den Video-Kunst-Meister einmal für ein interaktives Happening vor Millionenpublikum in seine Show „Bios Bahnhof“ eingeladen hat. Mein Gott, das ist auch schon wieder 15 Jahre her.

Über Nam June Paik sind jede Menge Superlative in Umlauf. Und sein deutscher Freund Herzogen-rath hat an der Verbreitung kräftig mitgewirkt. Neben dem „Vater der Videokunst“ geistern die Bezeichnungen „Schöpfer des ersten Video-Tapes der Kunstgeschichte“, „Erfinder des Video-Synthesizers“ und „einer der 25 einflussreichsten Künstler dieses Jahrhunderts“ durch den Äther. Paik ist aber im Lauf der Jahre so berühmt geworden, dass seine Pioniertaten fast vergessen wurden. Mit seiner „Erinnerung an das 20. Jahrhundert: Marilyn Monroe“, einer Sammlung von Illustrierten- und Zeitungsberichten zum Tod der Monroe, nahm er sogar Andy Warhol vorweg, betont Wulf Herzogenrath.

Die – selbstverständlich sehenswerte – Ausstellung zeigt mindestens zwei Gesichter des Nam June Paik. Da trifft der Video-Künstler den hintersinnigen Fluxus-Scherzbold, der die so genannte sexuelle Revolution zusammen mit der Cellistin Charlotte Moorman auch in der Musik inszenieren wollte. In seinen Videos lebt die 1991 gestorbene Moorman weiter und hüpft halbnackt durch Paiks Blue-Box-Effekte oder verwandelt einen anderen Darsteller in ein Musikinstrument. Wie unschuldig all' das heute wirkt. So wie Yoko Ono und John Lennon damals bei ihrer Performance im Bett.

Doch mit seinen kindlichen Augen hat Nam June Paik viel gesehen. Sätze von Hegel zum Beispiel, die er schon in den 50er-Jahren auf Deutsch gelesen hat. Oder Partituren von Arnold Schönberg. Oder John Cage, den amerikanischen Freund, und Joseph Beuys, den anderen deutschen Freund, der ein Nomade war wie Nam June Paik einer ist. Paik hat so viel gesehen, dass er heute gar nicht mehr so gut gucken kann. Dass es heutzutage KünstlerInnen gibt, die im Internet Pioniertaten vollbringen wie er damals mit Fernsehern und Videotechnik, glaubt er fest. Aber genau weiß er es nicht.

Man möchte mit ihm durch die Ausstellung schlendern, über Dialektik philosophieren und Witze machen. Aus besagten Krankheitsgründen muss man mit Wulf Herzogenrath vorlieb nehmen, der das Band für den elektronischen Guide „Artman“ besprochen hat. Wenn man Glück hat, führt er einen auch persönlich – Herzogenrath weiß nämlich viel über Paik, seine Zeit in Deutschland um 1960 und sein Weiterwandern in die technikfreundlicheren USA zu erzählen. Und er wird besonders darauf hinweisen, dass einer der Video-Buddhas – eine Buddha-Figur, die dem eigenen Fernsehbild gegenübersitzt – nur dank eines Fotos aus der Sammlung des Komponisten Hans Otte rekonstruiert werden konnte. Die Kunsthalle hat viel Paik. Und wir prognostizieren: In 100 Jahren wird man unter anderem wegen van Gogh und Paik nach Bremen kommen – wenn es den Space Park schon längst nicht mehr gibt.

Man könnte sich bis dahin in den Mittelraum setzen. Dort ist der „TV Garden“ mit Pflanzen und dort hineingeschleuderten Fernsehern zu sehen. Das ist mal ein schöner Ort zum Schweigen. Aber erst hineingehen, nachdem Du ein bisschen mit dem „Magnet TV“ gespielt und auf den an die Wand geklebten Tonbändern („Random Access“) Nam June Paik, den Pionier aller Scratcher, durch Ausprobieren gewürdigt hast. Die machen nämlich das Geräusch „Sssscccrrglaaaaburrrggllllziepziep“ oder so ähnlich. Versprochen? Christoph Köster

Nam June Paik „Fluxus/Video“ bis 23. Januar in der Kunsthalle. Eröffnung: Sonntag, 14. November, 11.30 Uhr. Man dankt Philips, der Bremer Landesbank und DaimlerChrysler Aerospace. Dies auch im Katalog, der trotzdem 49 Mark kostet und auch so viel wert ist.