Atomkredite vor der Entscheidung

Die Bundesregierung ringt um die Reform der Hermesbürgschaften: AKWs im Ausland weiter fördern oder ökologische Wahlversprechen halten?   ■  Von Maike Rademaker

Berlin (taz) – Die neue Bundesregierung packt mal wieder ein heißes Eisen an. Es geht vordergründig um die Außenwirtschaftsförderung, insbesondere um die Gewährung von Exportbürgschaften, die so genannten Hermes-Bürgschaften. Dieses Förderinstrument, so hieß es in der Koalitionsvereinbarung, soll nach ökologischen, sozialen und entwicklungsverträglichen Gesichtspunkten reformiert werden.

Dahinter steht eine alte Forderung der Umweltschutzverbände: Demnach soll in Zukunft das Engagement deutscher Firmen beim Bau von Atomkraftwerken im Ausland nicht mehr durch staatliche Absicherungen unterstützt werden. Außerdem geht es um den Ausschluss ökologisch und sozial bedenklicher Großprojekte.

Während in den Fraktionen die Diskussion um die Reform läuft, geraten sie in eine Zwickmühle „von Leo-Qualitäten“, wie es im Außenministerium heißt – in Anspielung auf den Streit um den Leopard-2-Panzer für die Türkei. Die Europäische Bank für Wiederaufbau (EBRD) in London drängte die deutsche Regierung in dieser Woche dazu, im Falle der Ersatzreaktoren für den ukrainischen Katastrophenreaktor Tschernobyl endlich zu einer Entscheidung zu kommen. Auch ein Abgesandter des Bundesministeriums für Umweltschutz und Reaktorsicherheit war schon in Sachen ukrainischer Energieversorgung in London. Und gestern trafen sich Beamte der beteiligten Bundesministerien.

Die Ukraine will mit westlicher Finanzhilfe zwei Reaktorblöcke, Khmelnitzky 2 und Rowno 4 (K2/R4) fertigbauen. Vordergründig geht es darum, wie sich die Regierung bei einer Abstimmung in der EBRD zu einem Kredit derselben verhält. Im Hintergrund geht es um etwas anderes: Ob die deutsche Regierung bereit ist, K2/R4-Investitionen von Siemens mit Bürgschaften abzusichern. Ohne eine solche Absicherung wird sich Siemens wohl kaum an dem Projekt beteiligen – und ohne eine solche Absicherung wird das Finanzpaket für K2/R4 nicht geschnürt.

Damit hat die Bundesregierug den Schwarzen Peter: Stimmt sie für den Kredit, ermöglicht sie den Bau zweier Atomkraftwerke. Stimmt sie dagegen, bringt sie die Industrie gegen sich auf – samt eventueller Schadenersatzansprüche. Einen schon laufenden und daher im Voraus bindenden Antrag auf eine Atom-Bürgschaft für die Ukraine gibt es allerdings noch nicht – wenn auch fest damit gerechnet wird.

K2/R4 ist nicht das einzige Projekt, das der Koalition Kopfschmerzen bereitet. In der Türkei sind zur Zeit zwei umstrittene Projekte geplant: das Atomkraftwerk Akkuyu, bei dem ebenfalls von Siemens ein Antrag auf Bürgschaft gestellt werden könnte, und der Staudamm Ilisu an der türkisch-syrischen Grenze, dessen Bau wegen Umsiedlungen und möglicher machtpolitischer Konflikte zwischen Syrien und der Türkei kritisiert wird. Umweltschutzorgansationen befürchten einen politischen Deal: Bürgschaften für Akkuyu könnten, sollten sie gestellt werden, abgelehnt, dagegen aber für Ilisu bewilligt werden.

Eine Diskussion um eine Hermes-Reform mit den nicht staatlichen Organisationen, wie sie Ende November mit dem Bundeswirtschaftsministerium angesetzt ist, halten diese für wenig sinnvoll, wenn die Regierung gleichzeitig intern kritische Projekte durchwinkt. Dass die Regierung Staudämmen gegenüber freundlich eingestellt ist, zeigt die Bürgschaftsgewährung für die Lieferung von Transformatoren für den Mega-Staudamm „Drei Schluchten“ in China im Oktober. Für diesen Staudamm müssen mindestens eine Million Menschen umgesiedelt werden.