„Gute Kämpfe – schon zwei Verletzte“

■ Thai- und Kickboxen wird von vielen als wilde Klopperei missverstanden

Die Kämpfe hatten begonnen. Die quäkende Begleitmusik kam vom Band, das Blut war echt. Der Junge auf den Schultern seines Vaters hatte eben noch gelächelt, mit seinem Papa gescherzt. Das war nun vorbei: Von Runde zu Runde verwandelte sich die Miene des Siebenjährigen immer mehr in ein ungläubiges Staunen. Denn im Ring ging es zur Sache. Das krachende Geräusch von Knochen, die auf Fleisch treffen, bohrte sich durch die mit knapp zweitausend Menschen gut gefüllte und von Rauchschwaden durchzogene Fabrikhalle.

Die Kämpfer setzten sich den Schlägen des Gegners aus, beantworteten postwendend linke Kicks gegen Oberschenkel und Schienbeine mit brennenden rechten Kicks in den Magen. Immer wieder hielten sie sich in enger Umklammerung und versuchten, den Ellenbogen oder einen Aufwärtshaken dazwischenzukeilen. Köpfe ruckten und Schweißtropfen flogen bei der 3. Hamburger Thai- und Kickbox-Gala, die am vergangenen Sonnabend im Norderstedter Rohling mit diversen Fights im Programm, darunter ein Europatitelkampf im Kickboxen, ausgetragen wurde.

Doch nicht nur der Gegner im Ring, auch der brutale Ruf, der dem Thai- und Kickboxen vorauseilt, trat den Aktiven an diesem Abend wieder einmal entgegen. In der Öffentlichkeit herrscht nicht selten der Eindruck vor, diese Sportarten seien gleichbedeutend mit blinder Gewalt. Denn die Gegner treten nicht in fließenden Gewändern vor einem stummen, ehrfürchtigen Publikum auf. Sie kämpfen mit nacktem Oberkörper. Und eine gewisse Faszination von Blut und Gewalt besteht bei den ZuschauerInnen durchaus. Diese findet sich zumeist in eindeutigen Sätzen wie „Mach ihn kalt“, „Hau ihn blutig“ oder, wie es ein Schaulustiger an diesem Abend ausdrückte: „Gute Kämpfe – schon zwei Verletzte!“

Den meisten Aktiven und Trainern missfällt derartiges Anheizen. Denn es wird nach genau festgeschriebenen Regeln gekämpft. Die Boxer dürfen ihren Gegner nur mit Knien, Ellenbogen, Fäusten und Füßen angehen. Ellenbogen- und Kniestöße an den Kopf, Tritte in den Rücken, in den Genitalbereich sowie auf die Gelenke sind ebenso verboten wie Schläge mit den Kanten und Innenflächen der Boxhandschuhe. Die Kickboxer klettern zudem mit gepolsterten Schützern an den Füßen und Suspensorium in den Ring.

„Wir wollen mit dem ,Hau-in-die-Fresse-Image' nichts zu tun haben“, stellt Till Görres, Hamburger Thaibox-Ikone und seit vielen Jahren Coach, unmissverständlich fest. „Es wird erst dort brutal, wo keiner mehr einen Gong schlägt.“ Der Sport, so hart er auch sein möge, betont der 31-Jährige, stehe stets im Vordergrund. Disziplin und Respekt vor Trainer und Gegner seien daher die wichtigsten Voraussetzungen für einen jeden Kämpfer.

Darüber hinaus gehen die Ursprünge des „Muay Thai“ – oder Thaiboxens – beinahe eintausend Jahre zurück. Thailändische Bauern trotzten seinerzeit der Unterdrückung des Staates und entwi-ckelten zur Selbstverteidigung eine höchst eigenwillige Kampftechnik. Sie kopierten Bewegungen aus der Tierwelt, wie den peitschenden Schwanz des Krokodils oder das Gerangel und Geklammere der Bergmondgorillas.

Als Dany Knoch, 25-jähriger Deutscher Kickbox-Meister von den Norderstedter Seven Day Thais, kurz vor Mitternacht seinen Kampf um die Europameisterschafts-Krone gegen den Duisburger Özkan Köse (Master Gym) nach acht Runden und Punkten verloren hatte, war die Show vorbei. Der kleine Junge indes hatte schon nach einer halben Stunde keine Lust mehr gehabt und war nach Hause gegangen.

Oliver Lück