Immun gegen jegliche Art von Ironie

■ Landluft macht frei: Birgit Vanderbeke liest morgen im Literaturhaus aus ihrem idyllischen Südfrankreich-Aussteiger-Roman „Ich sehe was, was Du nicht siehst“

„Igitt und pfui Teufel, komm, wir gehn weg von hier“ – so spricht die Ich-Erzählerin zu ihrem Sohne, und auf gehts: von der Stadt in die Provinz, von Berlin in die Provence. In ihrer Erzählung Ich sehe was, was Du nicht siehst träumt Birgit Vanderbeke den traditionellen Traum des romantischen Aussteigertums.

Die 1956 geborene Autorin, die zuletzt mit dem Roman Alberta empfängt einen Liebhaber einen Bestseller landete, hat es selbst von der BRD nach Südfrankreich verschlagen. Und vielleicht liegt es am autobiografischen Gehalt, dass Vanderbeke in ihrem Buch kaum ein Klischee des Landlebens unan-getastet lässt. Inmitten des agrarischen Idylls trägt sogar der Wind erotische Züge: Er „kam in Wellen“. Landluft, so lernt der Leser, macht frei. Und zwar so frei, dass sich die Emigrantin fortan ungehemmt in esoterischer Ergriffenheit üben darf: „Jetzt sind wir hier, und das Jetzt war stark, und das Hier war auch stark.“ Dieser Landliebe tun auch Ameisenalarm, Spinnen und ferienwütige Touristen keinen Abbruch, im Gegenteil: Sie adeln die meditative Besinnlichkeit umso mehr. Zu dieser inneren Einkehr gehören auch allerlei Reflexionen über Sehen und Nichtsehen, schließlich kann die Heldin nun „Dinge, die mir weggeguckt waren, wieder sehen“. Das sind vorwiegend Naturspektakel, die von zutraulichen Gewittern (“nicht mehr hoch oben, wie sonst immer, sondern direkt über den Hausdächern“) bis zu Waldbränden reichen.

Die Umwertung aller Werte verleiht sogar städtischen Phänomenen wie Verbotsschildern die Weihen der Korrektheit – zumindest, wenn auf ihnen steht: „Straße geschlossen, Stadt feiert.“ Kombiniere: geschlossene Dorfgemeinschaft statt anonymer Großstadtgesellschaft. Diese bilderbuchartigen Beschreibungen der rührigen Naturnähe und des kuscheligen Kleinfamilienglücks präsentiert Vanderbeke in teilweise naiv-simplen Sätzen, die in einem wellenartigen Sprachrhythmus daherkommen – bis der Leser fast ebenso eingelullt ist, wie es die Erzählerin durchweg zu sein scheint.

Immun gegen jegliche Art von Ironie spielt Vanderbeke dieses Programm bis zum bitteren Ende durch: „Jeden Tag war es schön und wurde immer noch schöner von Tag zu Tag.“ Leider trifft auf diese Geschichte eher das Gegenteil zu. Denn der Leser sieht, wofür die Erzählerin blind ist: dass die Beobachtung der eigenen Beobachtungen ohne eine gewisse Distanz nicht zu haben ist. Oder nur so, dass man bisweilen ausrufen möchte: „Igitt und Pfui, komm, wir gehn weg von hier.“ Christian Schuldt

Dienstag, Literaturhaus, 20 Uhr, Birgit Vanderbeke, Ich sehe was, was Du nicht siehst. Roman. Ale-xander Fest Verlag, Berlin 1999, 121 Seiten, 29,80 Mark