Rühes Wahlverein zwischen den Meeren

■ Schleswig-Holsteins CDU und der Traum von der absoluten Mehrheit

Von der Diawand hinter dem Präsidiumspodest grinst der Kandidat nebst Familie überlebensgroß aus nordseetypischem Dünenpanorama. Aus den Lautsprechern schallen Fanfarenklänge, während der Kandidat nebst Gattin durch den Saal zum Podium schreitet und die Ovationen der 300 Delegierten entgegennimmt: Volker Rühe ist der unumschränkte Alleinherrscher in Schleswig-Holsteins CDU. Um diese Botschaft den WählerInnen zu vermitteln, wurde der Parteitag am Sonnabend im nordfriesischen Husum durchgeführt.

Noch gut 100 Tage sind es bis zur Wahl am 27. Februar, mit der die zwölfjährige Oppositionszeit der Union im Land zwischen den Meeren beendet werden soll. Und Rühe weiß um diese einmalige Chance. Bei über 90 Prozent liegt inzwischen der Bekanntheitsgrad des gebürtigen Harburgers; damit kann er mit Titelverteidigerin Heide Simonis locker konkurrieren; die absolute Mehrheit verheißt ihm eine kürzlich veröffentlichte Meinungsumfrage.

Der gewiefte Taktiker und Machtpolitiker Rühe weiß aber nur zu gut, dass er auf die Euphorie-Bremse treten muss: „Die Gefahr, das wir gewinnen, ist ziemlich groß“, ruft er den Delegierten in dem Ton zu, den er und sie, die Sturmfesten und Erdverwachsenen aus dem hohen Norden, für humorvoll halten.

Nur zwei Dinge, so scheint es im Moment, könnten den Regierungswechsel in Kiel noch verhindern. Wenn herauskäme, dass der frühere CDU-Generalsekretär Rühe von der Leisler-Kiep-Affäre gewusst hat (siehe S. 7), würde die Stimmung im Lande wohl umschlagen. Aber dieses Thema ist natürlich keines auf dem Parteitag, der nicht zufällig in der neuen Heimat des Kandidaten stattfindet. Sein Ferienhaus im nur 25 Kilometer entfernten Tönning wurde zum ersten Wohnsitz des Hamburgers erhoben, auf dass er im Lande verwurzelt sei.

Rühes zweites mögliches Problem: Er verfehlt die absolute Mehrheit, die Grünen kommen wieder in den Landtag, die FDP aber nicht. An einem Scheitern des eventuellen Koalitionspartners, dem zur Zeit etwa vier Prozent vorhergesagt werden, aber hätte Rühe Mitschuld.

Denn in nur einem halben Jahr hat er die ehedem stramm konservative Landes-Union zum Rühe-Wahlverein gemacht und auf liberalen Kurs gebürstet. Heroin für Junkies oder eine Bestandssicherung für Gesamtschulen stehen in seinem Programm, für das er ganz allein die Verantwortung trägt – Kröten, die große Teile der Nord-CDU nur widerwillig akzeptieren.

Und die sie wieder ausspucken würden, sollte ihr Kandidat scheitern und damit Schleswig-Holstein vier weitere Jahre unter dem zu leiden haben, was für Rühe „rot-grünes Chaos“ ist. Sven-Michael Veit