Einigkeit macht Druck

■  Ein Gesetz zum Atomausstieg sieht die grüne Energieexpertin Hustedt als „Voraussetzung für einen letzten Konsensversuch mit der Industrie“

taz: Die SPD will „mehr Rücksicht nehmen“ auf die Grünen, auch Wirtschaftsminister Müller nähert sich grünen Positionen. Dreht sich der Wind in der Atompolitik?

Michaele Hustedt: Die SPD scheint zu der Verabredung der Koalition zu stehen, falls nötig den Ausstieg im Dissens vorzubereiten. Das ist die Voraussetzung, um dann vielleicht noch einen allerletzten Versuch für einen Konsens zu machen.

Wie geht es jetzt weiter?

Nachdem auch der Kanzler entsprechende Zeichen gegeben hat, wird sich die Koalition bald einigen. Das entscheidende Problem war doch bisher, dass es auch nach außen hin keine Einigung gab, wie man den Ausstieg im Dissens durchführt. Das hat uns schwach gemacht in den Verhandlungen mit den Stromkonzernen. Da sehe ich jetzt einen großen Fortschritt.

Wie wird die koalitionsinterne Einigung aussehen?

Ich will jetzt noch nicht über Jahreszahlen reden. Es geht darum, ein Ausstiegsgesetz zu machen. Im Bereich der Laufzeiten deutet sich an, dass es auch juristisch entschädigungsfrei möglich ist, die Laufzeiten zu begrenzen. Die werden deutlich unter den 35 Jahren sein, die die Industrie will.

Glauben Sie daran, dass Müller und die SPD wirklich Druck machen werden auf die Konzerne?

Es geht jetzt nicht darum, direkt Druck auf die Konzerne zu machen. Es geht darum, dass sich die Regierung einig ist: Wir machen den Ausstieg auch im Dissens. Diese Einigung, die macht dann den Druck.

Fischer und Trittin sollen 28 Jahre Laufzeit pro AKW vorgeschlagen haben. Ist das die neue grüne Linie?

Sagen wir mal so: Es wird auf jeden Fall keine Einigung auf 35 Jahre geben. Es wird deutlich darunter liegen. Bei 28 Jahren oder wo auch immer ...

Wo ist denn die Schmerzgrenze?

Es muss ein Ausstieg sein und kein Auslaufen.

Ist es für die Grünen Grundbedingung, dass vor 2002 AKWs abgeschaltet werden, brauchen sie nicht auch diesen symbolischen Erfolg?

Das streben wir an, aber es geht nicht nur um Symbole. Es nützt uns ja kein Gesetz, was uns nach einer Klage zwei Jahre später um die Ohren fliegt. Deshalb wird es auch Übergangsfristen geben müssen. Entscheidend ist, dass der Ausstieg festgelegt wird. Wenn das erst einmal klar ist, dann wird es einen Paradigmenwechsel geben in der Energiepolitik. Und das wäre ein klarer Erfolg grüner Politik, denn der Atomausstieg ist der Beginn einer zukunftsfähigen Energieversorgung in deutschland.

Minister Müller hat angedeutet, dass einige AKWs möglicherweise ohnehin aus Rationalisierungsgründen stillgelegt werden. Würden Sie sich damit abspeisen lassen?

Nein, aber das bestärkt mich darin, dass wir nach wie vor einen Konsens anstreben sollten. Trittin hat ein flexibles Modell vorgeschlagen. Dann könnte die Energiewirtschaft einige Kraftwerke früher abschalten und andere länger laufen lassen. Das würde bedeuten, dass in der Anfangsphase mehr Kraftwerke vom Netz gehen als bei einem Ausstieg im Dissens. Das wäre natürlich besser. Aber ein Konsens geht nur, wenn die Koalition klar macht: Wenn der Konsens nicht klappt, kommt der Ausstieg im Dissens. Interview: Lukas Wallraff