Das Bild vom rachsüchtigen Tschetschenen

■ Das Verhältnis der Russen zu den Tschetschenen ist voller Vorurteile, auch in Deutschland. In Berlin leben rund 300 Tschetschenen unter mindestens 100.000 Russen

Sie nennen sie die „Schwarzen“. Das Bild vom unberechenbaren, rachsüchtigen Tschetschenen steckt fest in den Köpfen vieler Russen. Das sind die Klischees und Vorurteile, die Russen seit vielen Jahren haben. Doch auch im fernen Deutschland gehen Russen den Tschetschenen oft aus dem Weg. Ekkehard Maß von der Deutsch-Kaukasischen Gesellschaft in Berlin: „Sogar aufgeklärte Russen sprechen von Tschetschenen manchmal als Wilde.“

Katarina Leithold unterrichtet Deutsch für Russen beim Verein Dialog e.V. In ihren Klassenzimmern ist der Krieg gegen Tschetschenien natürlich ein Thema. Auch sie ist schon auf rassistische Meinungen gestoßen: Wo man einen Tschetschen treffe, sollte man ihn „unschädlich“ machen.

Von tatsächlichen Übergriffen in Berlin wissen jedoch weder Katarina Leithold noch Ekkehard Maß. „Russen und Tschetschen meiden sich.“ Die Tschetschenen gingen nicht in russische Vereine und Organistionen, würden sich höchstens untereinander treffen. Katarina Leithold, die lange im Sozialdienst russische Einwanderer betreut hat, sagt: „ Russen versuchen möglichst nicht aufzufallen. Bei Tschetschenen ist die Anpassung mit Sicherheit noch stärker.“ Im russischen Haus in Berlin seien bisher noch keine Tschetschenen gewesen.

Ismail Kosan, migrantenpolitischer Sprecher der Berliner Grünen, hatte vor zwei Wochen eine Antikriegsdemo für Tschetschenen vor der Russischen Botschaft organisiert. Nur rund zehn Menschen waren gekommen. „Tschetschenen vermeiden es aus Angst, zu sagen oder zu zeigen, woher sie kommen“, hat Kosan beobachtet.

Es gibt keine offizellen Zahlen über die Anzahl der in Berlin lebenden Tschetschenen. Nach Vermutungen von Kosan sind es etwa 300. Demgegenüber steht die große Zahl der Russen. Nach Schätzungen der russischen Redaktion von Radio Multikulti sind es gut 100.000. Hinzu kommen noch die ausgesiedelten Russlanddeutschen, über die es ebenfalls keine Zahlen gibt.

In Leitholds Deutschklasse sitzen eher die gebildeten Russen. Doch auch bei ihnen merkt sie einen unterschwelligen Rassismus gegenüber Tschetschenen. Viele seien gegen einen Krieg, doch eher aus Prinzip. Sie sorgten sie sich durchaus um das Leben „unschuldiger Tschetschenen“, vor allem aber um das Leben ihrer russischen Soldaten. Da schon der erste Krieg 1994/1995 nicht erfolgreich war, fürchten sie, noch mehr Soldaten zu verlieren. Doch der russischen Regierung trauten die wenigsten zu, die russisch-tschetschenischen Probleme in den Griff zu bekommen. Karen Heinrichs