Der lange steinige Weg zum Frieden

Die PKK will den Krieg gegen den türkischen Staat beenden, doch ihre Gegner bleiben unversöhnlich. Auch der Nordirak bietet der Guerilla kein sicheres Rückzugsgebiet. Die Rückkehr in die Normalität ist mühsam  ■   Aus Kurdistan Inga Rogg

Zozan hat sich über Nacht Henna aufs Haar aufgetragen. In ein Buch vertieft sitzt sie vor ihrem Haus und wartet, bis das Badewasser heiß ist. Nebenan schält eine Nachbarin Auberginen und Kartoffeln für das Mittagessen. Ein Mädchen schüttelt Wolldecken aus und breitet sie sorgfältig auf dem Wohnzimmerboden aus. Eine Szene, wie sie sich in jedem kurdischen Dorf abspielen könnte. Doch dieses Dorf in den Qandil-Bergen hat keinen Namen, und die Mädchen und Frauen führen kein normales Leben. Ihre Uniform weist sie als Kämpferinnen der PKK aus, und die meisten von ihnen waren bis vor wenigen Wochen noch im Einsatz . Zwei Jahre hat Zozan gegen die türkische Armee gekämpft, bevor sie im August hierher nach Irakisch-Kurdistan kam.

„Manchmal hatten wir tagelang nichts zu essen“, sagt sie. „Im Winter konnten wir unser Versteck oft für Wochen nicht verlassen, weil der Feind uns sofort entdeckt hätte.“ Seit sieben Jahren ist die heute 25-Jährige bei der PKK.

„Hier ist es die reinste Erholung“, sagt sie. Sorgsam zupft sie das Tuch zurecht, mit dem sie ihren hennagefärbten Kopf umwickelt hat. „Wir haben reichlich zu essen, es ist ruhig. Aber vor allem haben wir viel Zeit.“ In ihrer Stimme schwingt Erleichterung mit. Doch wie wird es weitergehen? Die PKK hat die Waffen niedergelegt und der Türkei ein bedingungsloses Friedensangebot gemacht. Um ihren Willen zu unterstreichen, verlegt sie nun ihre Guerilla nach Irakisch-Kurdistan. Die Mädchen und Frauen in dem Dorf ohne Namen gehörten zu den ersten, die kamen. Sie stammen aus der Türkei, Syrien, Irak, Deutschland und Holland. Zwischen zwei und zehn Jahren Krieg haben sie hinter sich, mit 25 Jahren gehört Zozan schon zu den Älteren. „Ich werde tun, was mir die Partei befiehlt“, sagt Zozan. Ob sie denn selber keinen Wunsch habe? „Nein, ich gehe dorthin, wo mich die Partei braucht.“ Nur zurück nach Syrien, woher sie stammt, will sie auf keinen Fall. Zumindest nicht zu ihrer Familie. Wie die meisten hier, ist sie eines Tages von zu Hause abgehauen und hat sich der Guerilla angeschlossen.

Aber da ist noch ein anderes Problem. Auch wenn die PKK vielleicht den Krieg nicht verloren hat, geht sie doch geschlagen vom Feld. Denn die türkischen Militärs sind keinen Millimeter von ihrer kompromisslosen Haltung abgewichen. Im Gegenteil, sie verfolgen die PKK gnadenlos, auch über die Grenze hinweg. Egal, wohin die Guerilla gehen wird, man wird sie nicht mit Siegesfeiern empfangen. „Nein, wir haben mehr erreicht als jede andere kurdische Befreiungsbewegung“, widerspricht Zozan heftig. „Wir sind freier als alle anderen Frauen. Das wird uns niemand mehr nehmen.“

Drehkshan mischt sich in die Unterhaltung ein. Die 19-Jährige aus der irakisch-kurdischen Stadt Suleimaniya ging vor zwei Jahren mit dem Einverständnis der Eltern zur PKK. „Ich kann jederzeit zurück“, sagt sie. „Wenn die Partei das verlangt, werde ich es auch tun.“ Lieber würde sie aber durch die Dörfer ziehen, um für die Sache der Partei zu werben. Aber was ist davon noch übrig geblieben? „Wir haben heute eine eigene Frauenpartei“, sagt sie. „Um für sie zu arbeiten, brauche ich keine Waffe.“

Gibt es ein Leben ohne den Kampf und die Partei?

Die Partei – nur sie scheint zu wissen, was die Zukunft bringt. Und Abdullah Öcalan. Obwohl er in einem türkischen Gefängnis sitzt, ist er hier allgegenwärtig. Liebevoll auf Karton drapierte Bilder erinnern an ihn, die Unterhaltungen werden mit seinen Aussprüchen gewürzt, jede noch so alltägliche Handlung lässt sich mit einem Sinnspruch von ihm untermalen. Doch ihn beim Namen zu nennen, scheint ein Sakrileg. ER, das ist eine Mischung aus Ho Chi Minh und Heiligem, gütigem Onkel und Segenspender, der alles zum Rechten wenden wird.

Hevgin war früher Journalistin. Obwohl sie ein Jahr in einem türkischen Gefängnis verbrachte, kann sie sich vorstellen, in die Türkei zurückzukehren. „Wenn es ginge, würde ich gerne wieder als Journalistin arbeiten“, sagt sie nach langem Zögern. „Aber nur, wenn die Partei einverstanden ist.“ Nach acht Jahren Krieg und Partei fällt es ihr sichtlich schwer, persönliche Wünsche oder Lebensziele zu äußern.

Himmelblau schlängelt sich ein kleiner Fluss durch das enge, von schroffen Felswänden umschlossene Tal. Drekhshan schleppt Äste und Zweige herbei, die auf die Steinhäuser gelegt werden, um sie winterfest zu machen. Auf einem schmalen Pfad zieht eine Maultierkarawane vorbei, beladen mit Generatorteilen, Stühlen, Schultafeln und Lebensmitteln. Man richtet sich für länger ein. Ausgiebig kämmt Hevgin ihr langes dunkelblondes Haar und bindet es zum Zopf. Noch ein kritischer Blick in den kleinen Handspiegel. Dann hält sie einen langen Vortrag über die Errungenschaften der Partei für die kurdischen Frauen, darüber, wie verblendet die Europäerinnen seien, die an ihrem vermeintlichen Fortschritt festhalten. Erzählt, dass die PKK seit 1993 nichts anderes als Frieden und Demokratie wolle. Wer im jetzigen Friedensangebot eine Kehrtwendung sehe, habe die Schriften und Reden des Vorsitzenden nicht richtig gelesen. Auch seine Verteidigung während des Imrali-Prozesses sei eine Fortsetzung der PKK-Politik mit anderen Mitteln gewesen. Dafür will sie weiterkämpfen, egal wo. Nach einer kurzen Pause kommen ihr Zweifel. „Es ist schwer, sich ein anderes Leben vorzustellen“, sagt sie. Der Lärm, der Gestank und das Chaos in den Städten sind ihr ein Greuel. „Am liebsten würden wir hier bleiben“, fährt sie nachdenklich fort. „Hier in den Bergen sind wir zu Hause.“

An anderer Stelle in den Qandil-Bergen. Über Geröll und Trampelpfade geht es steil bergauf zur iranischen Grenze, entlang der ehemaligen Frontlinie im Iran-Irak-Krieg. Gestrüpp, Disteln und Alpenblumen säumen den schmalen Pfad. Die Hochgebirgsluft brennt in den Lungen. Nur Renaz scheint davon unbeeindruckt. Elf Schusswunden, ein halbwegs zusammengeflicktes Hüftgelenk und ein Granatsplitter im Kopf sind die Bilanz von zwölf Jahren Krieg, in denen er zwei Schwestern, einen Onkel und zwölf Cousins verlor. Trotzdem rennt er vor und zurück, um sich zu versichern, dass niemand den Anschluss verliert. Ein Fehltritt kann tödlich sein. Links und rechts an den Abhängen liegen noch immer Minen, Erdlöcher weisen auf ehemalige Geschützstellungen. Am Ende des langen Fußmarschs erreichen wir eine Hochebene. Schafmist zeugt davon, dass die Gegend bis vor kurzem noch den Hirten als Sommerweide diente.

Der Herr mit dem grau meliertem Haar stellt sich vor. „Ich bin Kani Yilmaz.“ Gerüchten zufolge wurde der frühere PKK-Europasprecher von seinen eigenen Leuten umgebracht, weil man ihn für Öcalans Verhaftung verantwortlich machte. „Solche Gerüchte setzt der türkische Geheimdienst immer wieder in die Welt“, sagt er, „um unsere Organisation zu spalten.“ Auf einem Platz hat sich eine Gruppe von Frauen und Männern zum Karatetraining versammelt. Von Ferne dringen die Kommandos einer Kampfübung in das Tal. „Die bewaffneten Bewegungen sind allesamt gescheitert“, sagt Yilmaz. Selbst Vietnam – jahrelang das große Vorbild –, müsse man aus heutiger Sicht anders bewerten. „Den Kampf für Demokratie und nationale Rechte“, sagt er, „kann man heute nur mit politischen Mitteln gewinnen.“

Fest hält Nurbin die Kalaschnikow an ihren Körper gepresst. Sie ist in einer deutschen Kleinstadt geboren und aufgewachsen. Weil ihr das Leben dort leer erschien, ging sie vor fünf Jahren zurück in die Heimat, wie sie es nennt. Ihre Hände sind aufgerissen, rotblaue Flecken von Erfrierungen haben ihr junges Gesicht gezeichnet. „Die Waffe gehört zu mir wie meine Arme und Beine“, sagt sie. „Ich kann mir nicht mehr vorstellen, mich ohne sie zu bewegen.“ Als Abdullah Öcalan verhaftet wurde, wollte sie sich für ihn in die Luft sprengen. Ihre Vorgesetzten hatten alle Mühe, sie davon abzuhalten. „Ich würde alles für ihn tun“, sagt sie. Alles, nur zurück nach Deutschland will sie auf keinen Fall. „Aber ich gehe überall hin, wo die Partei mich braucht.“

Ein anderer Grenzort. In Hajji Omran, einem Marktflecken im Dreiländereck Türkei – Iran – Irak gelegen, lässt sich in normalen Zeiten gut leben. Der Schmuggel mit dem Iran floriert, hier hat jeder sein Einkommen. Doch während der Sommermonate war der Ort immer wieder Ziel von PKK-Attacken.

Nadwa Kemals Haus ist bis auf die Grundmauern abgebrannt. Zwischen Schutt und Asche lugen die Überreste eines Ofens, von Küchengeräten und Vorratsbehältern hervor. „Warum haben sie das getan?“, fragt Nadwa verzweifelt. In einer Nacht im Juni schoss eine PKK-Einheit mit Mörsergranaten auf die Häuser am Ortsrand. Es war noch keine zwei Wochen her, dass Nadwa ihren Mann verloren hatte, als er mit seinem Wagen auf eine Mine fuhr. Mit ihren sieben Kindern lebt die Witwe jetzt in einer Notunterkunft. Die Demokratische Partei Kurdistans (DPK), die das Gebiet kontrolliert, zahlt ihr eine kleine Rente. „Wie lange soll das noch weitergehen?“, klagt sie. Anfang der 80er-Jahre hatte sie schon einmal alles verloren, als das Saddam-Regime die Ortschaft in einer Strafaktion dem Erdboden gleichmachte. Nadwa und ihre Familie flohen in den Iran.

„Das sind doch alles Terroristen“, mischt sich ihr Nachbar in die Unterhaltung ein. „Frieden?“, fragt er gereizt, „Terroristen glaube ich kein Wort.“

Auf den umliegenden Hügeln und Bergspitzen sind neu errichtete Militärposten zu sehen. Die DPK baut vor. Wenn die PKK ihre Truppen verlegt, werden die Türken das Schlachtfeld auch hierher verlagern,“ sagt Sami Abdurrahman vom DPK-Politbüro. Das werden wir nicht zulassen.“

Eine Tagesfahrt weiter, in der türkisch-syrisch-irakischen Grenzregion. Shefik Bile ist ein gebrochener Mann. Seit vier Jahren ist er schon auf der Flucht. Zuerst vor den türkischen Soldaten, die sein Dorf anzündeten und dann damit drohten, die Flüchtlingslager jenseits der Grenze zu bombardieren. Und jetzt vor der PKK. Es geschah vor einem Jahr in Mosul – ein Trupp PKKler entführte auf offener Straße seinen Sohn und lieferte ihn Saddams Geheimpolizei aus. Spitzeldienste für die DPK, lautete der Vorwurf. Nach drei Monaten Untersuchungshaft im Sicherheitsgefängnis von Mosul wurde der 24-Jährige nach Bagdad verlegt und zu einem Jahr Haft im berüchtigten Gefängnis Abu Gharib verurteilt. „In der Türkei haben sie uns als Terroristen beschimpft und davon gejagt“, sagt der alte Mann. „Und hier liefern Kurden Kurden an ihre Feinde aus – nirgends lässt man uns in Ruhe leben.“ Tristesse liegt über der Siedlung westlich von Dohuk, Shefiks vorerst letzter Zuflucht. Zwischen den Häusern spielen Kinder mit einer Dose Fußball. „Frieden?“, fragt der alte Shefik zweifelnd. Es wäre schon gut, wenn der Krieg ein Ende hätte.“