Sorglos in den Äther

Professionalität ist nichts, Enthusiasmus und ein bisschen Chaos alles: Seit Anfang des Jahres beschallt der Piratensender Twen FM auf der Frequenz 95,1 die Bezirke Prenzlauer Berg und Mitte mit House, Drum 'n' Bass und sonstiger elektronischer Musik  ■   Von Cornelius Tittel

Freitag, 18 Uhr, Sendebeginn für Berlins einzige Piratenstation, für Twen FM. Vom ersten DJ des Abends ist nichts zu sehen. Twen-FM-Gründer Sascha steht trotzdem überraschend gelassen vor einem abrissreifen Haus in Prenzlauer Berg. In seiner Eigenschaft als Programmdirektor bedeutet das für ihn „kein Problem, dann geht's halt 'ne halbe Stunde später los“. Eben. Werbekunden hat er schließlich keine zu verprellen, und ohne ein gesundes Maß an Sorglosigkeit kann man ein nicht ganz legales Projekt wie Twen FM ohnehin nicht betreiben.

Noch weniger als an einem pünktlichen Start scheint ihm jedoch an einer Wohnlichkeit des Senderverschlags gelegen zu sein. „Schon ein bisschen Punk“, sagt Sascha, der sich in seiner Secondhand-Kluft in nichts von den hippen, jungen und leicht verkifft wirkenden Menschen unterscheidet, die Prenzlauer Berg seit Anfang der Neunziger bevölkern. Für ihn und seinen Sender scheint Punk eher zu bedeuten, in Sachen Versifftheit sämtliche Rekorde zu brechen. Das rumstehende Leergut ist ein Vermögen wert, Staub und Kippen lassen sich förmlich stapeln, und für die schlechten Graffiti im Raum ist eine eher für ihre DJ-Skills geschätzte Neuköllner HipHop-Crew verantwortlich.

Auch das Equipment des Senders sieht wenig vertrauenerweckend aus: zwei leicht klapprige Technics-Nachbauten, ein verstaubtes Kleinst-Mischpult sowie einige undefinierbare, kastenförmige Gerätschaften. Das ist alles, was hier auf den Betrieb eines Piratensenders schließen lässt. Professionalität ist nichts, Enthusiasmus alles.

Ein Enthusiasmus, der immerhin ausreicht, um seit Februar diesen Jahres sieben Tage die Woche auf Sendung zu sein. Selbst den einbruchsbedingten Verlust des Geräteparks haben die Twen-FMler verkraftet: Ein neuer, leistungsstärkerer Sender wurde via Internet aus Großbritannien geordert, und mit diesem werden nun über die Frequenz 95,1 Haushalte in Mitte, Prenzlauer Berg und Teilen Friedrichshains beschallt.

„Seien wir doch ehrlich, wer von unseren Bekannten und Freunden hört überhaupt noch Radio? Als ich letztes Jahr aus Frankfurt hierher gezogen bin, war ich doch sehr verwundert, wie schlecht die anderen Sender sind.“ Der mangelnde Anspruch des offiziellen Konkurrenzprogramms, der Spaß daran, die eigene Lieblingsmusik tagtäglich auswählen, versenden und auch hören zu können: Genug Gründe für Sascha, Twen FM ins Leben zu rufen.

Doch auch auf der Ebene der Produzenten schien Bedarf zu bestehen. Neben dem eigenen Clubabend, Label oder Fanzine auch die eigene Radioshow zu schmeißen, live on air den Stand der Dinge zu vermitteln oder einfach mit den neuesten Promos zu posen – das klang auch für die örtliche DJ-Prominenz verlockend. Mit Bass Dee und Bleed sowie Highfish und Diringer war gleich die halbe WMF-Wochenend-Belegschaft am Start.

Leute, die jedoch schnell wieder absprangen: „Unser Anfangs-Line-up war wirklich sehr prominent. Aber die, die sowieso zweimal die Woche auflegen, erreichen schnell einen gewissen Sättigungsgrad und verlieren den Spaß an der Sache.“ So sind es verstärkt junge Crews, die Twen FM als erstes Forum nutzen. Die sind motiviert und stören sich im Gegensatz zu ihren schon berühmteren Kollegen nicht an knacksenden Mischpulten, nicht vorhandenen Monitorboxen oder vorübergehend verschollenen Plattenspielern.

Und nicht daran, dass es auch sonst ziemlich chaotisch zugeht bei Twen FM: „Pro Woche gehen hier mehr als 50 Leute ein und aus, viele davon kenne ich nicht einmal. Da kann man Verluste natürlich nicht ausschließen Doch es hat auch keiner von uns Zeit, immer da zu sein und Wache zu schieben“, sagt Sascha, ohne dass er dabei den Eindruck macht, als würde ihn das sonderlich stören. Schließlich ist inzwischen auch der für 18 Uhr eingeteilte DJ eingetrudelt – mit zwanzigminütiger Verspätung.

Der „Hauptknackpunkt“ ist für Sascha eher der notorische Geldmangel, „um beispielsweise fehlendes Equipement sofort zu ersetzen“, sowie die Gefahr, „irgendwann von der Post hochgenommen zu werden“. Was wiederum ein erneutes Finanzproblem bedeuten würde. Obwohl der Betrieb von Piratensendern strafrechtlich entschärft wurde, sind ein Ordnungsgeld von 10.000 Mark und die Beschlagnahme des Senders immer noch Grund genug, unnötigem Ärger aus dem Weg zu gehen.

Von Londoner Verhältnissen jedenfalls träumt Sascha bislang nur. Dort machen die etablierten pirates Chartserfolge allein durch gezielte heavy rotation unter sich aus, pushen die Clubsounds der Stunde, liefern den Soundtrack für Friseurbesuche und durchzechte Nächte. Was zur Folge hat, dass Sponsoren, Clubbetreiber und Labelchefs gar nicht genug davon bekommen, Geld in den illegalen Unterhaltungssektor zu pumpen. Vor Ordnungsgeldern fürchtet sich in London niemand, und ein, zwei Ersatzsender hat hier jeder Radiopirat ständig in der Hinterhand, um einen reibungslosen Sendebetrieb garantieren zu können.

Paradiesische Zustände. Um zumindest einige Schritte in Londoner Richtungen zu machen, planen Sascha und seine Crew demnächst, online zu gehen und dort bei entsprechender Resonanz potenziellen Sponsoren Werbeflächen zur Verfügung zu stellen. Und auch wegen einer eigenen, regelmäßigen Clubnacht hat man mit den Betreibern des WMF Verbindung aufgenommen. Unterstützung hat Twen FM allemal verdient – und sei es nur, dass sich jemand erbarmt, freiwillig den Putzdienst zu übernehmen.