Biocomputer: Rechenleistung des Lebens

Aus Biomolekülen aufgebaute Computer sollen weitaus leistungsfähiger sein als konventionelle. Erste Prototypen sind bereits gebaut. Doch bis sie einsatzfähig sind, ist es noch ein weiter Weg  ■   Von Claudia Borchard-Tuch

Adleman ist überzeugt, dass optimale Laborbedingungen in naher Zukunft verwirklicht werden können und die Fehlerrate in den Griff zu bekommen ist

Die Computer der Zukunft könnten flüssig sein – bestehend aus Milliarden in Wasser schwimmenden Biomolekülen, die alle zusammen gleichzeitig an der Lösung eines Problems beteiligt sind und auf Grund dieser enormen Parallelität jeden modernen Supercomputer in den Schatten stellen würden. Erste Biocomputer, in denen natürliche Moleküle wie DNA – Desoxyribonukleinsäure – die Informationsverarbeitung elektronischer Computer übernehmen, gibt es bereits.

Sind in elektronischen Computern Informationen als Folge elektrischer Impulse verschlüsselt, übernehmen in den DNA-Computern die vier Grundbausteine des Erbmoleküls diese Aufgabe. Leonard Adleman, Computerwissenschaftler an der Universität Südkalifornien, verwirklichte als erster einen auf DNA beruhenden Computer. Mit der DNA verschlüsselt die Natur riesige Mengen an Erbinformationen in einer sehr kompakten Weise – so verfügen einige wenige DNA-Stränge über die gesamte Information, um einen Elefanten oder ein Eichhörnchen zu erzeugen.

DNA zeichnet sich durch zwei wichtige Fähigkeiten aus: Sie kann Informationen speichern und sich selbst exakt kopieren. Diese Fähigkeiten setzte Adleman ein, um das „Problem des Handlungsreisenden“ zu lösen. Es geht darum, für eine Reise durch mehrere Städte die kürzeste Route zu finden. Für vier oder fünf Städte kann dieses Problem auf einem Stück Papier gelöst werden. Wächst die Anzahl der Städte, wird das Problem für einen elektronischen Computer rasch unlösbar, da zu seiner Bewältigung bislang kein in praktikabler Zeit arbeitendes Berechnungsverfahren gefunden werden konnte.

Die von Adlemans Computer entwickelte Rechenleistung entstand dadurch, dass zur Attacke auf die gestellte Aufgabe eine beträchtliche Anzahl von DNA-Molekülen eingesetzt wurde, die alle gleichzeitig mit dem Problem beschäftigt waren. Dabei waren Städtenamen als kurze DNA-Basenketten codiert. Im Reagenzglas konnten sich die Stücke dann in beliebigen Kombinationen verknüpfen und parallel bearbeitet werden. Nachdem die Inhalte der Reagenzgläser gefiltert und vervielfältigt worden waren, blieben eine Billion Kopien eines DNA-Moleküls zurück, das den gesuchten Reiseweg verschlüsselte.

Kann ein Biocomputer mehr als den Weg eines Handlungsreisenden bestimmen? Die Antwort ist: Ja. Kurze Zeit nach Adlemans Versuch zeigten Wissenschaftler aus der ganzen Welt, dass ein DNA-Computer universell, das heißt beliebig programmierbar sein kann. Zum einen gaben sie mehrere DNA-Versionen einer universellen so genannten Turingmaschine an. Diese Maschine ist der leistungsfähigste Computer, den es geben kann: Alles, für das man eine Rechenvorschrift finden kann, kann mit Hilfe einer universellen Turingmaschine berechnet werden. Da ein DNA-Computer genauso gut funktioniert, ist er prinzipiell in der Lage, jedes Computerprogramm auszuführen. Zum anderen kann man die strangförmigen DNA-Moleküle spleißen – sie an bestimmten Stellen unterbrechen und auf neue Art wieder miteinander verbinden. Damit können die Worte von Programmiersprachen erzeugt werden. Die Leistungsfähigkeit eines solchen Spleißsystems entspricht der einer universellen Turingmaschine.

Und drittens kann die Funktionsweise von elektronischen Gattern durch Trennen und Mischen der DNA-Basen nachgebildet werden. In elektronischen Computern übernehmen diese Gatter, die durch elektrische Ströme zwischen zwei mit 0 und 1 bezeichneten Zuständen hin- und hergeschaltet werden, die Informationsverarbeitung. Dies bedeutet, dass ein DNA-Computer im Prinzip alle Aufgaben lösen kann, die auch das Programm seines elektronischen Verwandten abarbeitet.

Doch Netzwerke aus Biomolekülen sind wesentlich komplexer als elektronische Computer. In Biocomputern gibt es keine Elektronenströme oder Kabel. Die Moleküle treiben frei in wässriger Lösung, bis sie an andere Moleküle geraten, die die Botschaft verstehen und umsetzen. Trotz dieser hohen Vernetzung ist die Geschwindigkeit der Informationsübermittlung erstaunlich hoch: Binnen einer Zehntelsekunde erreichen die DNA-Moleküle jeden Ort der Lösung.

Eine Programmiersprache für DNA-Computer gibt es bereits, genannt DNA-Pascal. Sie verleiht den Basenfolgen der DNA-Moleküle Bedeutung und macht es möglich, die universelle Programmierbarkeit der DNA voll auszuschöpfen. Es wurden bereits zwei wichtige Anwendungen entdeckt, für die sich DNA als informationsverarbeitendes Element hervorragend eignet.

Eric Baum, Computerwissenschaftler in Princeton, entwickelte einen aus DNA bestehenden Assoziativspeicher. Ein assoziatives Gedächtnis erinnert sich, indem es sein gespeichertes Wissen als Reaktion auf eine andere, assoziierte Information auffrischt. Das Langzeitgedächtnis von Vögeln und Säugetieren ist assoziativ. Die Pawlowschen Hunde, bei denen zunächst eine Glocke die Mahlzeit ankündigte, lernten, den Klang der Glocke in Verbindung mit Futter zu bringen. Die Assoziation Glokkenton – Futter führte dazu, dass die Hunde schließlich bei jedem Glockenton speichelten – auch wenn es gar kein Futter gab.

Ebenso wie bei Lebewesen gibt es auch bei konventionellen Computern bereits Assoziativspeicher. Ein Assoziativspeicher findet seine Inhalte durch Vergleich mit anderen Daten, nicht durch den Zugriff über Adressen. Somit ähnelt seine Funktionsweise dem menschlichen Gedächtnis, das sich an gedanklichen Inhalten orientiert, ohne bewusst zu wissen, wo ein bestimmter Inhalt im Großhirn gespeichert ist.

Assoziativspeicher sind für die Datenverarbeitung eine immense Verbesserung, könnte man doch auf die Adressverwaltung, die man für den geordneten Zugriff auf die bisher vorhandenen Speicher benötigte, verzichten. Für einen Assoziativspeicher braucht man ein Register, das in der Lage ist, sämtliche Inhalte von Speicherstellen parallel mit seinem eigenen Inhalt zu vergleichen, um die Speicherzelle mit dem ähnlichsten Inhalt zu finden. Dieses Prinzip konnte bisher in der für die heute in der Verarbeitung befindlichen Datenmengen erforderlichen Größenordnung mit konventionellen Computern hardwaremäßig nicht realisiert werden. Lediglich mit Hilfe von Software hat man das Prinzip des assoziativen Zugriffs verwirklichen können. DNA dagegen macht den Hardware-Assoziativspeicher möglich.

Die Realisierung ist einfach. DNA-Basenfolgen bedeuten Bits: Eine bestimmte Basenfolge legt die Position innerhalb eines Wortes und den Wert des Bits (entweder eine 0 oder eine 1) fest. Um Bitworte zu speichern, werden die sie verkörpernden DNA-Stränge in ein Reagenzglas gebracht. Ein gespeichertes Wort zu lesen bedeutet, es an Hand bekannter Wortteile wiederzufinden: Aus der Reagenzglaslösung werden dann diejenigen DNA-Stränge herausgefischt, in denen sich bestimmte Basenfolgen finden.

Die Fähigkeit des DNA-Computers, tausende von Dingen gleichzeitig zu erledigen, lässt ihn für eine zweite Einsatzmöglichkeit geeignet erscheinen: sich als Entschlüsselungsmaschine zu betätigen und so Geheimschriften lesbar zu machen. Was für herkömmliche Technologien ein schier unlösbares Problem ist, gelang mit einem DNA-Computer: Dan Boneh, Christopher Dunworth und Richard Lipton, Wissenschaftler in Princeton, schafften es, den als unüberwindbar geltenden DES-Code von IBM mittels DNA-Computer zu knacken.

Zurzeit suchen die Wissenschaftler nach den richtigen Laborbedingungen, die die einzelnen Basisoperationen schnell und billig ablaufen lassen. Falls dies gelungen ist, wollen sie sie zusammenfügen. Ein Problem ist die hohe Fehlerrate. Adleman ist jedoch überzeugt, dass optimale Laborbedingungen in naher Zukunft verwirklicht werden können und die Fehlerrate in den Griff zu bekommen ist. Er entwarf bereits einen Prototypen eines universellen DNA-Computers.

Neben DNA ist Bacteriorhodopsin das andere Biomolekül, das Baustein künftiger Computergenerationen sein kann. Das Bacteriorhodopsin verfügt über einen Licht absorbierenden Farbstoff, der seinen Zustand und damit den des gesamten Bacteriorhodopsin-Moleküls ändert, wenn er Licht aufnimmt. Bakterien benutzen das Bacteriorhodopsin zur Photosynthese. Während der Photosynthese durchläuft das Bacteriorhodopsin-Molekül verschiedene Zustände, und jeder Zustand wird durch das Licht einer bestimmten Wellenlänge eingeschaltet – eine Eigenschaft, die zum Codieren von Daten genutzt werden kann.

Robert Birge, Wissenschaftler an der Syracuse University New York, verwendet Bacteriorhodopsin-Würfel, in denen Daten dreidimensional gespeichert sind und mit Hilfe zweidimensionaler Laserstrahlenfelder geschrieben und gelesen werden. Wie beim Adlemanschen DNA-Computer ist das Hauptproblem des Birgeschen Speichers die relativ hohe Fehlerrate. Um sie in akzeptablen Grenzen zu halten, müssen die Würfel aus polymerisiertem Gel äußerst homogen sein. Zurzeit scheint es nur eine Möglichkeit zu geben, die nötige Homogenität zu erzielen: die Würfel in der Schwerelosigkeit des Weltalls zu produzieren.

Niemand weiß, wie lange es dauern wird, bis man einen Biocomputer aus dem Katalog bestellen kann. Gegenwärtig scheint die elektronische Computertechnologie ihren Grenzen nahe zu kommen – bedingt durch die Wellenlänge des Lichtes. Da ein Schaltbild auf den Chip durch ein lithografisches Verfahren übertragen wird, ist ein kleines Strukturdetail nur bei kleiner Wellenlänge des zur Lithografie verwendeten Lichtes erkennbar. Zur Zeit lassen sich Strukturen mit einer Breite von mindestens 0,25 Mikrometern erzeugen – und nicht schmaler. Dabei sind viele Probleme für die konventionelle Computertechnologie unlösbar und werden es wahrscheinlich immer bleiben – Speicherkapazität und Rechengeschwindigkeit reichen nicht aus. Vielleicht sind es einmal die Biocomputer, die dies schaffen.