EU-Schlampereien kosten jährlich Milliarden

Die Kritik des Rechnungshofs: Es wird gemogelt und betrogen, dass sich die Balken biegen – in allen Ländern. Das Finanzmanagement gleicht dem einer Bananenrepublik. Und das seit Jahren  ■   Aus Brüssel Daniela Weingärtner

Eigentlich hätte der neue Bericht des Europäischen Rechnungshofes gestern in Straßburg öffentlich diskutiert werden sollen. Doch das Parlament schlug den Rechnungsprüfern die Tür vor der Nase zu. Sie waren eigens aus Luxemburg angereist, um kritische Fragen von Parlamentariern und Journalisten über das 500 Seiten dicke Werk zu beantworten. Da jedoch „ausgewählte Journalisten“, unter anderem Kollegen des Spiegel, schon vorab einen Blick in den Abschlussbericht werfen durften, die MEPs aber bis Montagabend warten mussten, sagten sie die Pressekonferenz kurzerhand ab. Der österreichische Vertreter im Rechnungshof, Hubert Weber, reagierte gelassen auf den Affront. Das Hausverbot seitens des Parlaments habe das Interesse der Journalisten eher gesteigert.

Inhaltlich allerdings bietet der Bericht über das Haushaltsjahr 1998 nicht viel Neues. Er belegt ein weiteres Mal, dass die EU-Kommission mit der Verwaltung der ihr anvertrauten Mittel überfordert ist. „In zahlreichen Fällen zeugen die formalen Fehler von den spezifischen Systemmängeln, insbesondere von der Nichtdurchführung der geforderten Kontrollverfahren.“ Die Rechnungsprüfer betonen auch, dass sie nicht mit ausreichend Daten versorgt wurden, um ein umfassendes Urteil zu fällen. Auch aus den Mitgliedsländern lägen nur unvollständige und oft nicht vergleichbare Zahlen vor.

Rund fünf Prozent der Ausgaben, die von Brüssel veranlasst werden, sind nach den Recherchen des Rechnungshofes fehlerhaft – immerhin fast 10 Milliarden DM. Insgesamt verfügte die EU im Haushaltsjahr 98 über Einnahmen in Höhe von 85 Milliarden Euro. Die Fehlerquote sei im Vergleich zu den Vorjahren unverändert hoch. Die von der Kommission regelmäßig angeführte Entschuldigung, 90 Prozent der Ausgaben würden über die nationalen Behörden abgewickelt, lassen die Prüfer nicht gelten. Sie fanden nämlich die meisten Fehler bei der Regionalförderung für die weniger entwickelten Gebiete – diese Programme wurden im Ressort der deutschen Kommissarin Monika Wulf-Matthies direkt gemanagt.

Dabei war es gängige Praxis, Vorschüsse zu zahlen, ohne später zu prüfen, ob die vereinbarte Leistung wirklich erbracht wurde. Nur selten werden Vorschüsse zurückgefordert – wenn, dann Jahre später und ohne Zinsen. Italien zum Beispiel beantragt seine EU-Projekte auf der Grundlage von Aktionsprogrammen, die die Regionalparlamente noch nicht abgesegnet haben. So werden oft Luftschlösser bezuschusst. Von 1989 bis 1993 erhielt Italien so rund 6,5 Milliarden Euro für Projekte des Jahres 1998 – ein millionenschwerer Zinsgewinn.

Kommen beantragte Projekte tatsächlich zustande, prüft die Kommission nach Ansicht des Rechnungshofs zu selten nach, ob sie den Grundsätzen der Gemeinschaftspolitik entsprechen. Folgen für den Umweltschutz, aber auch Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt bleiben unberücksichtigt. Auch bei den Agrarzuschüssen, die fast die Hälfte des EU-Haushalts verschlingen, sind die Prüfer wieder fündig geworden. Noch immer würden große Mengen Obst und Gemüse vernichtet. Die Rücknahmestellen vor allem in Griechenland, Frankreich und Italien kontrollierten selten, ob gelieferte Mengen und abgerechnete Überschüsse übereinstimmten.

Rechnungshofmitglied Hubert Weber weigert sich allerdings, schwarze Schafe zu nennen, die mehr mit Fördermitteln und Überschussprämien tricksen als andere Mitgliedsstaaten. Ein Haushalt, der fast ausschließlich für Subventionen ausgegeben werde, fördere eben die Begehrlichkeiten – in allen Mitgliedsländern.

Mit der Tatsache, dass der EU-Haushalt in allen EU-Ländern als Füllhorn betrachtet wird, muss sich nun die neue grüne Haushaltskommissarin Michaele Schreyer herumschlagen. Der Rechnungshof gibt ihr immerhin die Mahnung mit, besser zu wirtschaften als ihre Vorgänger: „Die Vorschläge für eine neue allgemeine Haushaltsordung sollten von einem entschiedenen Bemühen um Vereinfachung und ordnungsgemäße Rechenschaftslegung getragen werden.“ Angesichts eines gleichbleibend geringen Personaletats der Kommission dürfte das leichter geschrieben als getan sein.

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