■ Wenn heute Nacht im Osten das Sternbild des Löwen, lateinisch Leo, aufgeht, beginnt ein unvergleichlicher Sternschnuppenregen. Die Leoniden sind alle 33 Jahre im November besonders spektakulär. So auch jetzt – wenn das Wetter mitspielt  Von Stefan Schaaf
: Wünsch dir was

Ralph Petrozello traute kaum seinen Augen in jener kalten Novembernacht, die er als 15-Jähriger in der Nähe von New York erlebte: Hunderte von Sternschnuppen schossen über den nächtlichen Himmel, sie schienen alle von einem Punkt am Firmament her zu kommen. „Es wurden immer mehr“, erinnert er sich, „bald waren es wohl tausende – als ob man mit dem Auto mit angeschalteten Scheinwerfern durch einen Schneesturm fährt!“ Wahrscheinlich hat er die Gelegenheit genutzt, sich schnell etwas zu wünschen, so wie wir alle es wohl schon in einer der Augustnächte getan haben, in denen die Perseiden, ein anderer Sternschnuppenschwarm, jedes Jahr zu sehen sind.

James W. Young in Kalifornien zählte in jenem November – es war das Jahr 1966 – bis zu 50 Meteore pro Sekunde. Etliche davon waren so hell, dass sie Schatten warfen. „Wir dachten fast, wir sollten besser Schutzhelme aufsetzen“, schrieb er später in einem Bericht. Young, ein begeisterter Sternengucker, hatte sich den Wecker gestellt, um das himmlische Schauspiel nicht zu verpassen. Er wusste, dass die Erde jedes Jahr Mitte November auf ihrem Weg um die Sonne die Umlaufbahn des Kometen Temple-Tuttle kreuzt. Der Komet selbst ist kaum ein spektakulärer Anblick. Die auf seiner Bahn hinterlassenen Staubteilchen und Gesteinsbröckchen können aber in der Erdatmosphäre ein beachtliches Feuerwerk entzünden.

1833 etwa: Da glaubten die Menschen angesichts des nächtlichen Lichtersturms am Himmel, der Jüngste Tag sei gekommen. Damals wusste man noch nicht, wie Sternschnuppen entstehen. Sie wurden für das Resultat von Vulkanausbrüchen auf dem Mond oder des Abbrennens entzündlicher Gase in der irdischen Lufthülle gehalten. Entsprechend verwirrt waren die Menschen, die das Schauspiel erlebten. Die Sterne prasselten herab, manche leuchteten so hell wie der Mond, sie hinterließen Rauchfahnen am Himmel, die nur langsam verschwanden. Auf einer Plantage in South Carolina glaubten die Sklaven, die Welt sei in Brand geraten. Eine Frau berichtete, ihr Hof sei von herabgefallenen Sternen übersät gewesen, andere meinten, sie könnten die Lichtspuren mit den Händen fangen.

Nur wenige sahen das Ereignis nüchterner: Der Dinosaurierforscher Edward Hitchcock, Professor in Massachusetts, zum Beispiel. Er wies darauf hin, dass Wolken die Spuren der Meteore verdeckt hätten, dass sie also oben in der Atmosphäre geleuchtet hätten. Wissenschaftler suchten nach ähnlichen Berichten und fanden, dass Alexander von Humboldt schon im November 1799 in Südamerika viele Sternschnuppen beobachtet hatte. Bis ins Jahr 902 nach Christus ließen sich die November-Meteore zurückverfolgen, alle 33 Jahre waren sie besonders spektakulär.

Dieses Jahr ist wieder so eines. Die Astronomen haben ausgerechnet, dass am Donnerstagmorgen gegen drei, vier Uhr die Sterne wieder einmal vom Himmel fallen sollen. Nicht so viele wie 1833 und auch nicht so dramatisch wie 1966, aber ein paar hundert pro Stunde sollten es doch werden. Das Gute an diesem Himmelsereignis ist, dass wir keinerlei Geräte brauchen, um es zu beobachten. Kein Fernrohr, und man muss auch keine poppige Brille gegen augenschädigende Strahlen kaufen. Ein warmer Mantel und eine Thermoskanne mit einem heißen Getränk sind das Wichtigste – neben wolkenlosem Wetter und einem möglichst weiten dunklen Himmel natürlich – der in den Städten allerdings nicht leicht zu finden ist.

Etwa gegen Mitternacht geht das Sternbild des Löwen (lateinisch: Leo) im Osten auf. Von dort – deshalb auch ihr Name – scheinen die Leoniden zu kommen, wenn sie für Sternschnuppen ungewöhnlich schnell über den Himmel zischen.

Und man braucht Glück, denn einige Male waren die Berechnungen der Wissenschaftler falsch, und die Hoffnungen der Beobachter wurden enttäuscht. Im vergangenen Jahr etwa blieben viele Wünsche ungewünscht. Die Vorhersage, dass man am Morgen des 18. November in Asien die meisten Leoniden sehen könne, erfüllte sich nicht. Stattdessen erlebten in der Nacht davor Urlauber auf den Kanarischen Inseln ein spektakuläres Feuerwerk am Himmel.

Inzwischen sind die Astronomen in sich gegangen und haben ihr Modell, wie ein solcher Sternschnuppenschauer entsteht, verfeinert. Der Komet Tempel-Tuttle wandert in einer sehr langgestreckten Bahn alle 33 Jahre um die Sonne. Sein letzter Besuch in Erdnähe liegt nur anderthalb Jahre zurück. Er ist ein Klumpen aus Gestein, Eis und gefrorenem Gas von wenigen Kilometern Durchmesser. Bei jeder Wanderung um die Sonne schmilzt etwas mehr von diesem „schmutzigen Schneeball“ ab. Der Komet zieht diese Materie in Form eines langen, nur einige tausend Kilometer breiten Schlauchs hinter sich her.

Jedes Jahr im November fliegt die Erde durch diese Staubröhre, die natürlich knapp hinter dem Kometen am dichtesten ist. Offenbar gibt es dabei regelrechte „Staubklumpen“, die dann kurze, heftige Sternschnuppenschauer abseits der berechneten Zeit produzieren.

Um eine sichtbare Sternschnuppe zu erzeugen, genügt ein zuckerwürfelgroßes Steinchen. Das Leuchten, das wir sehen, entsteht in den oberen Schichten der Atmosphäre, etwa hundert Kilometer von der Erde entfernt. Eine gewaltige Energie wird dabei frei – warum soll sie nicht auch Wünsche in Erfüllung gehen lassen?