■ Kommentar
: Wachstumsgeschenk  Jetzt muss die Regierung wissen, was sie will

Der für das nächste Jahr prognostizierte Wirtschaftsaufschwung ist ein unverhofftes Geschenk für die rot-grüne Bundesregierung. Mehr Wachstum, ein bisschen weniger Arbeitslosigkeit, eine bessere Stimmung bei Unternehmern und vielleicht auch wieder bei den Wählern. Wer an Kanzler Schröders Stelle wollte da noch fragen, wie denn das Hoch zu Stande kommt, ob durch die eigene Politik oder nur als Folge weltwirtschaftlicher Entwicklungen? Jetzt gilt es, die Gunst der Stunde für weitere Schritte – und Rot-Grün – zu nutzen. Dass der Aufschwung dafür ausreichen kann, haben neben den Wirtschaftsforschern in ihrem Herbstgutachten nun auch die so genannten Wirtschaftsweisen bestätigt. Aber beide haben ganz unterschiedliche Vorschläge gemacht.

Alles kommt nun darauf an, auf wessen Rat der Kanzler hört: Auf den der Forscher, die ihm nahe legen, sich nicht allzu eng an einem radikalen Abbau der Staatsverschuldung zu orientieren und dadurch Spielräume für die Reformen bei den Steuern, im Gesundheitswesen und bei der Rente zu gewinnen? Die ein Mix aus Angebots- und Nachfragepolitik fordern, mit dem das Wirtschaftswachstum angekurbelt werden könnte? Oder doch auf den der Sachverständigen, die mehrheitlich auf die Flexibilisierung der Arbeitsmärkte setzen, auf die Streichung der Lohnfortzahlung bei Krankheit, auf weniger Schutz der Beschäftigten vor Kündigungen, auf niedrigere Löhne?

Das erste Konzept, nicht einseitig auf Sparen zu setzen, sondern auch zu investieren, kann zwar auch keine Wunder wirken und die Arbeitslosigkeit in kürzester Zeit drastisch abbauen – auf diesem Weg bräuchte man wohl mehr Geld, als Bundesfinanzminister Eichel überhaupt herausrücken könnte. Aber es wird zumindest nicht weniger erfolgreich sein als das zweite, das die Beschäftigung allein von den Interessen der Wirtschaft abhängig macht. Denn was davon zu erwarten ist, hat das Ergebnis von 16 Jahren Kohl-Regierung zur Genüge gezeigt.

Und einen nicht zu unterschätzenden Vorteil dürfte das erste Modell auf jeden Fall haben: Die Wähler werden es eher honorieren. Schließlich haben sie vor einem Jahr den Wechsel gewählt. Und nicht den Anzug von Gerhard Schröder und die Gesinnung von Helmut Kohl.

Beate Willms

Bericht Seite 9