„Die Macht der Beziehung ist stärker als Handschellen“

■ Drei Jahre lang Vergewaltigungen und Prügel: Jetzt brachte eine 22-Jährige ihren Peiniger vor Gericht

„Gewaltbeziehungen“, so eine Psychologin zur taz hamburg, hätten oft eine Eigendynamik, deren „Widersprüchlichkeit“ für den Außenstehenden nicht nachvollziehbar ist. „Die Macht der Beziehung ist stärker als Handschellen.“ Diese Erfahrung hat auch Solveig Gül* gemacht. Obwohl sich die 22-Jährige, Zeugin und Nebenklägerin im Vergewaltigungs-Prozess gegen ihren Ex-Verlobten Yücay Y. (24), als starke und selbstbewusste Frau präsentiert, hat sie drei Jahre gebraucht, um den Mut aufzubringen, sich von dem gewalttätigen Mann zu lösen und ihn vor den Kadi zu bringen. Yücay Y. muss sich derzeit vor dem Hamburger Landgericht wegen Vergewaltigungen, Körperverletzungen und Geiselnahme verantworten (taz berichtete).

Erst „im Nachhinein“, sagt Solveig Gül, „hab' ich gemerkt, er nahm mich nie ernst und hat mich nur verarscht“. Dabei hätte sie es früher merken können. „Ich war in ihn verliebt – am Anfang ja“, schildert sie den Beginn ihrer Beziehung. „Ich dachte, das ist der Richtige für mich.“ Doch bereits nach kurzer Bekanntschaft kam es zur Gewalt. „Immer wenn seine Drogengeschäfte nicht gut gingen, hat er seine Wut an mir ausgelassen“, berichtet Gül. So habe er ihr beim Umzug, als sie ihm beim Packen geholfen habe, ein Knie in die Seite gerammt und ihr eine Rippe angebrochen. Wenige Tage später habe er sie im Beisein ihrer Freundin schwer verprügelt, an den Haaren gezogen und ihren Kopf gegen die Dachschräge geschlagen. Dabei war er sich seiner Gewalttätigkeit stets bewusst. „Hoffentlich erlebst Du mich nicht noch schlimmer“, habe er ihr anschließend gesagt. Im Krankenhaus attestierten die Ärzte Solveig Gül einen Rippenbruch, zwei abgebrochene Schneidezähne, eine Gehirnerschütterung und zahlreiche Hämatome.

Dennoch kehrte sie zu Yücay Y. zurück – eine folgenschwere Entscheidung. Nach einer Familienfeier – Gül war mittlerweile schwanger von ihm – wollte er mit ihr schlafen. „Zunächst in gegenseitigem Einverständnis“, sagt sie. Doch als er sich seinen Penis mit Koks puderte, wehrte sie sich: „Ich wusste nicht, ob meine inneren Organe verletzt werden.“ Daraufhin habe er – „es zählt nur, was ich will“ – sie zweimal vergewaltigt.

„Es war ihm scheißegeal, ob er mich erniedrigt“, sagt Gül, die Y. kurze Zeit später in der Türkei nach islamischem Recht heiratete, heute. Und: „Ich habe heute keine Ahnung, warum ich ihn geheiratet habe.“ Denn noch in der Türkei habe er trotz Schwangerschaft weiter auf sie eingeschlagen, so dass sie, wieder zurück in Deutschland, eine Fehlgeburt erlitt. Einmal habe er sie sogar mit einem „Rambo-Messer“ in den Arm gestochen. „Das musste drei Stunden operiert werden“, berichtet sie dem Gericht und zeigt ihre Narbe.

In der Folgezeit – bis zu seiner Verhaftung im Juni dieses Jahres – sei es trotz Trennung immer wieder zu Misshandlungen und Vergewaltigungen gekommen. Dennoch nahm Solveig Gül ihre Anzeigen und Aussagen regelmäßig zurück. „Das muss was mit meiner Angst zu tun haben“, kann sie sich das nur erklären. „Ich war eigentlich völlig entschlossen, dass ich das durchziehen wollte.“ Hinzu kamen der Druck der Familie von Y.– „er liebt dich doch“ – und Yücay Y.s Drohung, er wolle ihren dreijährigen Sohn aus erster Ehe entführen.

Dass diese Befürchtung Solveig Güls nicht unbegründet war, zeigte sich im Februar: Nach erneuter Trennung entführte Y. den mittlerweile geborenen gemeinsamen Sohn; erst das Mobile Einsatzkommdo konnte den Säugling aus der Wohnung der Eltern von Y. befreien.

Eine unrühmliche Rolle im Schicksal Güls spielt die Staatsanwaltschaft. Sie beantragte im Sommer 1998 die Aufhebung eines Haftbefehls gegen Yücay Y., trotz Kenntnis der diversen Vorstrafen – Y. war bereits 1994 zu 16 Monaten Knast verurteilt worden, weil er eine Frau in die Prostitution zwingen und später durch Morddrohungen zur Falschaussage vor Gericht bewegen wollte. „Das war ein Berufsanfänger“, versucht der Sitzungsvertreter den Vorfall herunterzuspielen. Und auch nach der Kindesentführung wurde der Haftbefehl wegen einer Krankheit außer Vollzug gesetzt. Yücay Y. tauchte unter und nistete sich, unter Androhung von Gewalt, erneut in der Wohnung von Solveig Gül ein.

Seine Liebeserklärungen und die liebevollen Phasen, so wertet diese heute das Verhalten des Angeklagten, galten nur der Befriedung. „Er hatte Angst, dass ich ihn anzeigen würde“, sagt Gül. „Auf gut deutsch: Er wollte seinen Arsch retten.“ Die dreijährige Tyrannei habe sie beinahe in den Selbstmord getrieben. „Er hat mich seelisch und körperlich kaputt gemacht“, sagt die 22-Jährige während ihrer Vernehmung. „Heute fühle ich mich wunderbar, so lange er in Haft ist!“

Der Prozess gegen Yücay Y. wird mit der Vernehmung des zweiten Misshandlungs- und Vergewaltigungsopfers, eine Frau, mit der er vor Solveig Gül zusammenlebte, fortgesetzt. Sie hat er laut Anklage zudem durch Gewalt zur Prostitution gezwungen. Kai von Appen

* Name von der Redaktion geändert