Heldengedenktag

■ Die 70er-Jahre sind vorbei, die 80er auch: Azymuth haben sich ordentliche Hemden gekauft. Im WMF treffen sie auf Jazzanova

Schwarz auf Weiß steht es am Eingang des WMF: „Unsere Helden Azymuth. Live.“ Es erwarten einen also große Dinge. Helden halt. Ein Wort, das gerade nüchternen Menschen wie den Jungs von Jazzanova nicht leicht von der Zunge gleiten dürfte. Und auch wenn es selten vorkommt, dass lebende Legenden ihr einziges Deutschlandkonzert in einer Club-Lounge spielen, hat hier alles seine Richtigkeit.

Ein Zusammentreffen, welches man sich zwingender nicht hätte ausdenken können. Lieferten doch gerade die ersten, Mitte der 70er erschienenen Azymuth-Werke eine Art Blueprint für den BerlinerClubsound der 90er. Auf die kränkelnde Musikszene Brasiliens mit ihren Bossa-Nova-Klischees wirkte das schlicht „Azymuth“ betitelte Debütalbum des Trios ähnlich befreiend wie die Veröffentlichungen Jazzanovas auf Teile der saturiert gelangweilt wirkenden House-Gemeinde.

Sie avancierten zu Stars des internationalen Jazz-Circuit, arbeiteten mit Stevie Wonder genauso wie mit Space-Jazz-Pionier Chick Corea. Alles war erlaubt, es konnte nicht eklektisch genug sein. Azymuths Jazzverständnis, ihre Fusion brasilianischer Rhythmen mit Funk, Boogie-Disco und den Elektronikausflügen von Herbie Hancock und Miles Davies klang derart neu und überzeugend, dass sich neben wenigen Könnern auch eine Latte minder geschmackssicherer Bands inspiriert fühlte, alles mit allem zu fusionieren.

Einige taten das mit derartiger Penetranz, dass „Fusion-Jazz“ für durchaus meinungsbildende Zeitgenossen schnell zum Schimpfwort wurde. Und auch wenn Azymuth kurz vor ihrer vorübergehenden Auflösung 1987 selber Alben einspielten, für die man ihre Epigonen zu Recht belächelt hätte: Die bedingungslose Verehrung ihrer halb so alten Wiedergänger ist ihnen sicher. 1994 flog der Londoner Brazil-Afficionado Joe Davis nach Rio, um Betrami, Malheiros und Conti zu überreden, ein Reunion-Album für sein junges Far Out-Label aufzunehmen. Und siehe da – er hatte Erfolg. Azymuth besannen sich auf alte Qualitäten, auch die Muster ihrer Hemden sahen nicht mehr so furchterregend aus wie Mitte der Achtziger. Das Ergebnis, „Carnival“, klang bis auf die dezent House-infizierte Neubearbeitung ihres größten Hits „Jazz Carnival“ ebenso frisch wie Oldschool.

Azymuth meldeten sich zurück, als hätte es künstlerische Krisen und Pausen nie gegeben. Strategisch äußerst geschickt lud Davis bekennende Azymuth-Verehrer wie 4 Hero, Phil Asher und Jazzanova ein, ihre Lieblingsstücke von „Carnival“ und dem Ende letzten Jahres erschienenen Nachfolger „Woodland Warrior“ zu remixen. So schloss sich dann der Kreis. Die Speerspitzen der elektronischen Neo-Fusion-Szene, allesamt Söhne im Geiste, standen Schlange, um ihren Helden Tribut zu zollen.

Mit neuer Platte im Gepäck dürfen sie nun ausgerechnet im WMF Zeugen werden, wie ihr Erbe auf den Tanzflächen dieser Welt verwaltet wird. Cornelius Tittel

Heute, 21 Uhr, im WMF, Johannesstraße 19, Mitte