■ Wer Augen hat, zu sehen: Zum Tode des Filmemachers Robert Kramer

Vor wenigen Tagen ist der in Frankreich lebende amerikanische Dokumentarfimer Robert Kramer im Alter von 60 Jahren gestorben. Seine filmischen Essays über die amerikanische Mythologie („Route One“), den Vietnamkrieg („People's War“) oder die Entwicklung der Linken („Ice“) sind politische Erkundungen, vorsichtig tastende, manchmal versonnene Aufzeichnungen, die nie von vorgefassten Urteilen, sondern von der Neugier ihres Autors ausgehen. Kramers Filme sind melancholische Hinterfragungen von Begriffen wie Heimat, Zugehörigkeit, Verlorensein, Vergänglichkeit, gedreht mit den Mitteln des Cinéma vérité. Trotz der Unmittelbarkeit und Nähe von Direktton und Handkamera wahrte der Filmemacher vor Menschen und Ereignissen stets die Distanz eines – vorsichtig teilnehmenden – Beobachters. Dass man sich von den Bildern im Kopf befreien muss, um das, was vor den Augen liegt, zu sehen, war seine ästhetische Überzeugung, die er genauso behutsam formulierte, wie er seine Filme machte:

„Ich weiß nicht, ob es einen großen Unterschied zwischen den Filmen und dem Leben gibt. Ich nehme an, es hängt davon ab, ob man speziell an das Machen von Filmen denkt oder nicht. Filme zu machen (der Ablauf, mit dem wir nur zu vertraut sind: Drehorte und Crew und Schauspieler und Kantinen) hat wenig mit Sehen oder Leben zu tun. Oder, um es genauer auszudrücken: Es ist ein ganz eigenes Leben, eine ganz eigene Welt. Irgendwo hat John Berger einmal geschrieben: 'Blindheit ist wie das Kino, weil die Augen nicht links und rechts von der Nase sitzen, sondern immer dort, wo die Geschichte es verlangt.‘ Wenn man jedoch von der Kamera spricht, wenn man die komplexe Beziehung beschreibt zwischen Leuten, die sehen, und dem, was dann um sie herum vor sich geht, dann kann man mit der Kamera so leben, wie man auch sonst lebt. Man kann versuchen, der Kamera den eigenen Blickwinkel zu verleihen, und man kann zur Kenntnis nehmen, dass man die Folgen dieses Abenteuers bis zum Ende hin nicht absehen kann.“    Foto: Tip-Archiv