25 Jahre pro Atomkraftwerk sind genug

Rechtsprofessor Denninger verweist die Vorstellungen der Atomindustrie zu den AKW-Laufzeiten juristisch ins Reich der Märchen. Bundesregierung legt Ausstiegsgesetz bald vor  ■   Aus Berlin Hannes Koch

Mit seinem Gutachten zum Atomausstieg schwächt der Frankfurter Rechtswissenschaftler Erhard Denninger die Position der Atomindustrie. Nach 25 Kalenderjahren seien AKW in der Regel altersschwach und würden ihren Besitzern allmählich mehr Kosten als Gewinn bescheren. Deswegen sei der Ausstieg nach dieser Frist rechtlich unbedenklich, schreibt Denninger, den Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) mit der juristischen Einschätzung beauftragt hatte. Denningers Gutachten bildet eine Basis für das Ausstiegsgesetz, an dem die rot-grüne Regierung gegenwärtig arbeitet. Der Jurist, der an der Frankfurter Uni lehrt, schreibt, dass Atomkraftwerke in der Regel nicht so lange laufen, wie die deutsche Atomindustrie durchsetzen will. Von insgesamt 14 AKW, die in den Industrieländern zwischen 1989 und 1997 stillgelegt wurden, seien 13 zwischen 15 und 24 Kalenderjahre am Netz gewesen. Nur eines hätte 26 Jahre Strom produziert. Die deutschen Atomkonzerne wollen der Bundesregierung demgegenüber eine maximale Laufzeit von 35 Volllastjahren abringen. Das bedeutet 35 Kalenderjahre plus die Zeiten, in denen die Kraftwerke wegen Reparatur, Überprüfung oder Nachrüstung stillstanden. In einzelnen Fällen können so reale Laufzeiten von vierzig Jahren oder mehr pro Anlage herauskommen.

Denninger legt dar, dass ein normales Atomkraftwerk nach rund 20 Jahren seine Kosten erwirtschaftet hat und danach Gewinn abwirft. „Unter technologischen und wirtschaftlichen Aspekten“ sei die Betriebsdauer von 25 Kalenderjahren deshalb in „großzügiger Weise“ bemessen.

Lege die Bundesregierung ihrem Ausstiegsgesetz also 25 Jahre zugrunde und berücksichtige eine Übergangsfrist von ein bis drei Jahren für die ältesten Kraftwerke, sei sie verfassungsrechtlich auf der sicheren Seite.

Der Jurist geht davon aus, dass die Atomindustrie das Ausstiegsgesetz dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vorlegen werde. Seiner Einschätzung nach wird das Oberste Gericht die Regelung aber passieren lassen.

„Die nachträgliche Befristung atomrechtlicher Genehmigungen ist nicht als Enteigung zu qualifizieren“, so Denninger. Zum Wohl der Allgemeinheit könne der Gesetzgeber den Eigentümern von Atomkraftwerken durchaus Beschränkungen auferlegen. Ein Ausstiegsgesetz stimme mit dem Gemeinwohl überein, wenn es zum Ziel habe, die Sicherheit der Bevölkerung zu gewährleisten, das technische Risiko zu minimieren, die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen und die Sozialverträglichkeit der Energieversorgung zu sichern.

Weil die Atomindustrie das Gesprächsangebot der rot-grünen Regierung für den Atomkonsens boykottiert, will die Regierung in den kommenden Wochen ein Gesetz für den Ausstieg vorlegen. Die Staatssekretäre der Ministerien für Umwelt, Wirtschaft, Justiz und Inneres haben eine entsprechende Vorlage fast fertiggestellt. Nun müssen sich die MinisterInnen vor allem auf die Fristen für den Ausstieg einigen. Auch Bundeswirtschaftsminister Werner Müller – eigentlich ein Gegner der gesetzlichen Regelung – schließt inzwischen nicht mehr aus, dass es zu dem Gesetz kommt.