Gefangen im Zwischenreich

■ Die szenische Aufführung „Transfer Tegel“ in der JVA Tegel

Wieder in Tegel, wieder im Knast. Der Einlass ist so unkompliziert wie noch nie, das Gefängnispersonal auf dem Weg in die Dienstleistungsgesellschaft. Fast ohne Warten darf man den Kultursaal betreten. Das Bühnenbild: aufgereihte Holzkisten. Die Zuschauertribüne deutet die Form einer Pyramide an. In der Mitte sitzt man erhöht, an den Seiten ebenerdig. Da die Besucher von draußen früher eingelassen werden, bekommen sie die besseren Plätze, sie drängen in die Mitte. Die Gefangenen, nicht alle, bleiben am Rand.

Unter dem Titel „Transfer Nacht“ fand im August eine Totenreise auf der Spree statt. Roland Brus und Holger Syrbe haben nun den zweiten Teil des Doppelprojektes inszeniert, „Transfer Tegel“, eine szenische Recherche auf der Basis der ägyptischen Totenbücher. Wie in den vorigen Projekten schieben sich erarbeitete Fremdszenen und nachgespielter Alltag aus dem Knast übereinander. Die Realität des Knastes wird vom Sterberitual durchdrungen und umgekehrt, die Gefangenen dringen in das Zwischenreich von Leben und Tod ein.

Das Spiel der 18 Gefangenen ist äußerst konzentriert und wirkt unheimlich präzise. Die Spieler treten als chorische Gruppe auf, die sich immer wieder neu formiert. Dabei kommt es zu Ein- und Ausschlüssen, zu Anklagen, zu Versammlungen, nicht zur Revolte. Mit dem Umstellen der Kisten wird der Raum umorganisiert. Es entstehen Gänge, Mauern, offene und geschlossene Zellen: Ein sprunghaft geometrisches Traumbild. In langen Szenen sprechen die Gefangenen mit wenigen Worten und klaren Gesten von ihrer Sehnsucht, von ihrer Abgeschiedenheit, nicht von ihrer Schuld. Dazwischen Musik – mystisch technoid, immer laut. Alles stimmt genau. Die Aufführung schreitet wie ein kollektiver Wachtraum vorüber, sie ist ein pieksendes Schlupfloch zwischen drinnen und draussen. Es wird Realität geschaffen. Die disziplinierte Ernsthaftigkeit der schauspielenden Gefangenen wirkt bedrohlich. Das Lachen eines Gefangenen, der neben mir sitzt, klingt verzweifelt. In mir macht sich Angst breit. Unter dem strengen Gebilde werden die inneren Explosionen spürbar.

Dann singt einer mit hoher Stimme ein trauriges Lied, klar und wunderschön. Obwohl es kein Zentrum gibt, ist dies der Höhepunkt. Immer, wenn ein gefangener Vogel von Freiheit singt, rührt es das Herz. „Ich bin unschuldig“, ruft einer am Ende. „Wir sind alle unschuldig“, ruft es aus dem Publikum zurück. Langer Beifall. Nichts wie raus. Felix Herbst
‚/B‘Vorbestellungen im Hebbel-Theater