Stärker, als viele glauben

betr.: „Hundert Trecker tuckern gegen Atomkraft“, taz vom 13. 11. 99

In dem Artikel wird unter anderem versucht, die bundesweite AKW-Bewegung als erfolglos darzustellen. Dazu werden die Teilnehmerzahlen von 1979 von Treck nach Hannover mit 100.000 Teilnehmern mit den 10.000 heute verglichen. Der Vergleich ist insofern schwierig, weil es in der Woche des Trecks neben dem eigentlichen Demonstrationsanlass, dem in Hannover tagenden Gorleben-Symposiums, in Harrisburg zu dem damals größten Unfall in der Atomgeschichte gekommen war und die durch den Unfall ausgelöste Betroffenheit noch mehr Menschen dazu brachte, an der Demonstration teilzunehmen. Zudem hat allgemein das politische Engagement abgenommen, so dass 10.000 Demonstranten heute ein höheres politisches Gewicht haben können als in den 70er Jahren.

Und den Begriff einer politischen „Bewegung“ über eine bestimmte Zahl (ab 25.000 bis 30.000) zu definieren, ist politikwissenschaftlich nicht haltbar. (Eine Bewegung ist dann ein Bewegung, wenn Organisationen und Individuen über mehrere Jahre hinweg ein gemeinsames politisches Ziel verfolgen, sich an nationale bzw. internationale Entscheidungsträger wenden und im Vergleich zu traditionenellen Organisationen relativ offene Strukturen aufweisen, so dass z. B. Mitbestimmung auch ohne Mitgliedschaft möglich ist. Dies trifft in Deutschland auf Atomkraftgegner zu.) Man spricht deshalb zu Recht von der „Anti-Atom-Bewegung“.

Und diese ist nicht ohne Erfolge: Der Ausbau der Kernernergie konnte in den 70er und 80er Jahren gestoppt werden, Wiederaufbereitungsanlagen Gorleben und Wackersdorf verhindert, Mühlheim-Kärlich stillgelegt werden, bevor es überhaupt ans Netz ging. Null Jahre Restlaufzeit! Nun steht der nächste Schritt bevor: der Ausstieg.

Und nach über 20 Jahren Widerstand sind 8.000 Demonstranten nicht wenig, sondern viel. Wer bekommt sonst noch 8.000 Menschen und über 100 Traktoren für ein Ziel auf die Straße, das der Allgemeinheit dient und nicht Teilinteressen? In welchem Land gehen sonst noch 8.000 Menschen gegen Atomkraft auf die Straße ? Die Anti-Atom-Bewegung ist stärker, als viele glauben. Das wird auch der nächste Castor-Transport zeigen! Tobias Darge, Braunschweig